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Kategorie Politik
Ausgabe SoSe07 - 6
Autor Johannes Gütschow

Eine andere Welt - Ein Erfahrungsbericht aus Heiligendamm

von Johannes Gütschow

Der G8-Gipfel fand statt, trotzdem waren die Proteste ein Erfolg – wenn auch auf einer anderen Ebene.

„Another world is possible“ - so hieß das Motto der Auftaktdemo gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm. Die Proteste lieferten dann aber erstmal aus dem globalisierten Fernsehen altbekannte, aber für Rostock neue Bilder von Straßenschlachten. Es hagelte Distanzierungen, Innenminister sahen ihre „Strategie“ bestätigt. Die Medien bekamen Bilder für gute Auflagen und Einschaltquoten, die Verfechter des „größten Polizeieinsatzes in der Geschichte der BRD“ bekamen die Bilder von Ausschreitungen, die sie zu seiner Rechtfertigung brauchten.

Es sah schlecht aus für die Proteste. Das breite Bündnis schien zu zerfallen, die Medien sich gegen den Protest zu wenden, die Kritik an Zaun und Polizeieinsatz zu verstummen. Doch während sich NGO-Funktionäre distanzierten, Medien hetzten (die TAZ zog glatt mal rechts an der BILD vorbei) und Innenminister geiferten, wurde an der Basis über die Ereignisse diskutiert. Trotz offensichtlicher Meinungsverschiedenheiten gab es keine Spaltung. Ein erstes Anzeichen, dass in der „globalisierungskritischen Bewegung“ andere Gepflogenheiten herrschen, als in der Welt der Politgrößen.

Auf dem Weg zu den Blockaden. Foto: Hugo (flickr.com) 

Die Basis der Bewegung organisierte sich während des Gipfels in verschiedenen Protestcamps, und in denen herrschte eigentlich nichts oder zumindest niemand. Die Camps waren möglichst herrschaftsfrei organisiert. Gemeinsame Aktionen wurden auf Plenen besprochen, es gab nur wenige feste Regeln. Einige Aufgaben wurden von festen Gruppen organisiert. Beispielsweise die Planung des Camps Wichmannsdorf von Menschen mit Erfahrung aus den Castor-Protesten und das Essen auf dem Camp von Volxküchen (VoKüs) aus Hannover, Berlin und dem Wendland. Finanziert wurde das Camp über Spenden und einen Campbeitrag von 5 € pro Tag. Wer die nicht zahlen konnte, kam auch so rein. Auch die VoKüs waren spendenfinanziert. Entgegen ersten Gerüchten ist das Konzept auch finanziell aufgegangen. Die VoKüs erwirtschafteten – wenn man das so nennen kann – sogar einen Überschuss, der nun beispielsweise zur Unterstützung von Klagen gegen den Polizeieinsatz verwendet werden wird.

Auch die Stimmung war beeindruckend. Obwohl es immer wieder Diskussionen über auf dem Camp anwesende und Informationen sammelnde Zivilpolizisten gab, blieb sie offen und solidarisch.

Ein Beispiel für solidarischen Umgang zwischen verschiedenen Protestkulturen gab das Camp Wichmannsdorf. Obwohl es mit der Clownsarmee eher bunt war, wurde auch der „Schwarze Block“ thematisiert. Als schwarz angemalter Pappkarton war er auf Demos dabei. Die Clownsarmee kreiste ihn ein und „sicherte“ ihn oder floh wahlweise vor ihm, um das Verhalten der Medien und die Forderungen nach Ausschluss aus der Protestbewegung zu parodieren. Nach außen wirkte das unter Umständen albern, die Aktionen der Clownsarmee waren aber durchaus inhaltlich durchdacht. Statt direkt zu sagen, worum es ihnen geht, drückten die Clowns ihre Forderungen und ihre Kritik durch unkonventionelle Aktionen und Spiele wie dem Putzen von Polizeiuniformen aus.

Die Proteste waren weitgehend selbstorganisiert. An zwei der drei Tore des Zauns fanden während des Gipfels große von der Kampagne „BlockG8“ organisierte Blockaden statt. Am dritten Tor organisierten sich Blockaden spontan und waren trotz teilweise geringer Teilnehmerzahl erfolgreich. Sie wurden zwar häufig – teils mit Wasserwerfern – geräumt, aufgrund der Selbstorganisation fanden sich aber meist schnell neue Gruppen ein, die eine neue Blockade aufbauten. Die anderen Blockaden bestanden während des ganzen Gipfels mit wechselnder Teilnehmerzahl – auch über Nacht.

Während der Blockaden wurden die DemonstrantInnen ständig mit warmem Essen und Wasser versorgt, sogar Dixi-Klos wurden herangeschafft. Die Koordinierung lief über Infopunkte und Infotelefone, bei denen jeder Informationen bekommen und abgeben konnte. Die Versorgung der Demos und Blockaden mit Essen funktionierte auf diese Weise stets gut. Die Informationslage über die DemonstrantInnen an verschiedenen Orten war hingegen teils verwirrend. So saßen wir am Donnerstag mit maximal 50 Leuten auf einer Wiese beim westlichen Tor und fragten uns, wo die immer wieder angekündigten 2000 Menschen seien. Dort besteht eindeutig noch Verbesserungsbedarf in der Kommunikation.

Wasserwerfer am westlichen Tor. Foto: Hugo (flickr.com)

Die Polizei fiel in den Blockadetagen gegenüber den DemonstrantInnen nicht nur durch höhere Gewaltbereitschaft, sondern auch durch schlechtere Logistik auf. Einige PolizistInnen waren über 20 Stunden am Stück im Dienst, andere bekamen über Stunden nichts zu essen und zu trinken. „Dieser Einsatz hat die Grenzen der Belastbarkeit der Polizei weit überschritten“, resümierte Konrad Freiberg, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. Trotzdem gab es auch entspannte Momente zwischen den Fronten. Einige PolizistInnen verteilten überschüssiges Essen an Demonstranten – was diese zu der Erkenntnis brachte, dass die VoKüs doch wesentlich besser seien als die Fertignahrung der Polizei – andere verrieten auch mal, wo es noch eine Lücke in ihren Reihen gab.

Die Erfahrungen aus Camps und Blockaden haben viele Beteiligten neue Motivation für politische Arbeit verschafft. Die Aktionen und Umgangsformen der DemonstrantInnen sind ein Beispiel dafür, dass ohne straffe Organisation und Hierarchien und trotz des einseitigen Verzichts auf Gewalt gegen Menschen viel erreicht werden kann. Der Gipfel fand zwar statt, das wichtigste Signal kam aber trotzdem an. Die DemonstrantInnen nehmen die Erfahrung mit nach Hause, dass herrschaftsfreie Organisation und eine Gesellschaft, in der nicht auf allem ein Preis steht, funktionieren kann. Das gibt Kraft, dem Druck sich in die kapitalistisch organisierte Gesellschaft einzuordnen, nicht nachzugeben, sondern Widerstand zu leisten und für eine solidarische Gesellschaft zu kämpfen. Den größten Erfolg feiert die Bewegung also weder in der Presse noch in der Wirkung auf den Gipfel, sondern in der Wirkung auf sich selbst.