Studentenleben - Ein wahrer Freund
To recognize your true friends – please enter your birthdate!
Als ich Rosas auf heute datierte Geburtstagserinnerung auf meiner Startseite erblickte, staunte ich nicht schlecht. Wusste ich doch eigentlich ganz genau, dass ihr Geburtstag bereits im Frühjahr erfolgreich abgehandelt worden war. Wieso also behauptete das VZ nun stocksteif, dass ihr Ehrentag auf einmal im Juni liegen sollte? Was steckte da bloß dahinter? Obwohl naheliegend, vermied ich es, meinen Geist in wilden Verschwörungstheorien zu wälzen; stattdessen rief ich sie einfach kurzerhand an. Rosas Antwort war so simpel wie vorhersehbar: Sie hatte ihren Geburtstag selbsttätig auf diese Woche umdatiert. Sie wollte doch einmal schauen, welcher ihrer „Freunde“ sich alles blind auf die Erinnerungsnachricht verließ und dann mit seiner Gratulation sein grandioses Unwissen demonstrierte.
Dabei bekam sie auch Glückwünsche von einigen Leuten, die ihr bereits im März auf dem Campus gratuliert hatten – sogar von Freunden, die damals auf ihrer Geburtstagsparty persönlich zugegen gewesen waren. Ist man denn mittlerweile so terminplanerhörig, hatte sich Rosa daraufhin gefragt, dass man das eigene Gedächtnis einfach aufs Abstellgleis schiebt? Oder liegt das vielleicht an den diversen friendship-Seiten, die den Studis heutzutage die ganze Arbeit des Aufrechterhaltens einer Freundschaft abnehmen, damit sie ihre ganzen mentalen und sozialen Kompetenzen aufs Studieren konzentrieren können? Haben das denn alle nötig? Kann vor lauter Studium keiner mehr Zeit aufbringen, sich noch live mit seinen Mitmenschen zu beschäftigen? Dann könnte man ja gleich alle zeit- und geistintensiveren persönlichen Begegnungen, die ja nachweislich auch nur der Aufrechterhaltung von Kontakten dienen, wegfallen lassen. Gespräche über Skype oder MSN zu führen, erscheint sowieso zeiteffektiver. Immerhin kann man bei langweiligen Gesprächen nebenher wahlweise die neuesten Nachrichten lesen oder für die nächste Klausur lernen. Nur die Webcam sollte einen dabei nicht verraten.
Dafür, dass heutzutage keiner mehr Zeit hat, muss es doch eine vernünftige Erklärung geben. Ach ja. Vermutlich ist daran wieder einmal die Bachelor/Master-Umstellung schuld. Immerhin wird dort das ganze Studium in Zeiteinheiten gemessen, und die Seminare werden bei erfolgreicher Teilnahme mit genau abgezählten Credit Points honoriert – da liegt es doch nahe, dass man die eigenen Freizeitaktivitäten auch unterteilt und versucht, am Ende des Semesters möglichst viele imaginäre Friendship Points gesammelt zu haben - z.B. in Form von Pinnwandnachrichten oder Freundschaftseinladungen.
Rosa hat ihr Experiment sogar noch weiter getrieben. Seit neuestem hat sie Gefallen an der Sache gefunden und passt ihren Geburtstag jetzt in regelmäßigen Abständen dem aktuellen Datum an. Sehr erfreut stellte sie bald fest, dass einige Getreue ihr jede Woche aufs Neue gratulieren. Dabei schreiben sie teilweise sogar direkt oberhalb ihres eigenen Glückwunsches von letzter Woche auf die Pinnwand. So eine standhafte Kritiklosigkeit muss man doch einfach würdigen. Auch ich habe bereits darüber nachgedacht, meinen Geburtstag probeweise einmal umzulegen. Teils aus Spaß, teils aber auch aus Neugierde. Doch bislang habe ich mich irgendwie noch nicht getraut. Die Angst, enttäuscht zu werden, war bislang noch zu groß. Irgendwie ist doch heutzutage auf niemanden mehr Verlass.
Fabio Reinhardt