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Kategorie Feuilleton
Ausgabe SoSe07 - 5
Autor Johannes Kaufmann

„Du Drecksjude – dich sollte man vergasen!“

Verkommt das StudiVZ zum Tummelplatz für Antisemiten?

 

„Wir trinken Bier nur an Tagen, die mit ‚g‘ enden. Und mittwochs“, „Vegetarier essen meinem Essen das Essen weg“ oder „Playboy-Unielite“ heißen die Gruppen im StudiVZ. Entsprechend beschränkt sich ein großer Teil der Kommunikation auf eine Mischung aus platten Annäherungsversuchen und harmlosem Unsinn. Doch wo annähernd zwei Millionen Studierende miteinander in Kontakt stehen, werden zwangsläufig auch Politik und Weltanschauung thematisiert. Und so finden sich immer mal wieder Gruppen wie „Soldaten wie andere auch – Gegen Kriminalisierung der Waffen SS“, „Israel / Juden? Nein, Danke!“ oder „Zionismus ist Faschismus“. Über den Nahen Osten wird besonders intensiv gestritten. Natürlich ginge es dabei lediglich um eine offene und kritische Debatte und nicht um Hass auf Juden, versichert der Gründer der "Israel-öffentlich-kritisieren-können-Gruppe“, der sich selbst als „guten Freund Israels“ beschreibt. Wie die nüchternen Argumente in dieser Debatte aussehen, verdeutlichte Gruppenmitglied Syeed N. eindrucksvoll mit der Eröffnung des Themas „Ich hasse Judenschweine!!!“, in dem er ausführte: „Alle vergase muss man die Drecks_Ferkel!“. So etwas muss man doch sagen dürfen.

NS-Propaganda unter dem Vorwand der Israelkritik

NS-Propaganda unter dem Vorwand der Israelkritik

Widerstand gegen Antisemitismus verstößt gegen das Postgeheimnis

Derartige Ausfälle, die von Naziparolen bis hin zu Morddrohungen an Juden reichen, sind alltäglich und haben mittlerweile dazu geführt, dass mehr als 100 Studenten ihre Mitgliedschaft in der Gruppe „Jüdische Studenten“ geheimhalten. Andere haben dem Antisemitismus den Kampf angesagt. Die Gruppe „Simon Wiesenthal-Center im StudiVZ“ sammelte Beweismaterial gegen Rassisten und Judenhasser und wandte sich damit an die Betreiber des Internetportals. Die reagierten prompt: Das Simon Wiesenthal-Center
wurde gelöscht. Campus Captain Sabrina T. ermahnte Mitglieder der Gruppe, sie sollten aufhören, ihr die verfassungsfeindlichen Kommentare anderer Studenten zu schicken oder zu veröffentlichen. Sie ging sogar so weit, Studenten, die hetzerische Kommentare meldeten, einen Verstoß gegen das Postgeheimnis vorzuwerfen und zu drohen, dass sie „nicht nur ein Verfahren zu erwarten“ hätten – da stellt sich die Frage, was Frau T. mit "nicht nur" andeuten wollte. Gemeint waren Kommentare, die beispielsweise den Holocaust leugneten und deren Meldung durch VZ-Mitglieder von Betreibern und Campus Captains nicht selten ignoriert wurden. 

Falsche Toleranz

Dieses Vorgehen ist kein Einzelfall. Dem neuen Verhaltenskodex zufolge werden Verstöße gegen die allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht toleriert und hart sanktioniert. Doch erscheint diese Härte ausgesprochen einseitig: Während der „Mohammed-Karikaturen-Zeichenkurs“ immer wieder und innerhalb kürzester Zeit gelöscht und sein Gründer gesperrt wurde, weil er „religiöse Bekenntnisse beleidigt“ (Punkt Acht des Verhaltenskodex‘), konnte Said N. monatelang ungestraft gegen Schwule, Juden und den „gottverfluchten Terrorstaat“ Israel hetzen, bis er endlich gelöscht wurde. Wenige Stunden später war er wieder da.

Das Phänomen der falschen Toleranz (oder ist es Feigheit?) existiert nicht nur im StudiVZ. Aber hier trat es in den letzten Monaten besonders krass zu Tage. Auf der einen Seite wurde ohne rechtliche Grundlage zensiert, sobald religiöse Befindlichkeiten verletzt wurden; auf der anderen Seite existierten Hisbollah- und Hamas-Fanclubs monatelang. Auf der einen Seite wurde die Gruppe „Keine Dhimmis für den Islam!“, die sich gegen Sharia und die Entrechtung von Frauen, Homosexuellen und religiösen Minderheiten in islamischen Ländern aussprach, gelöscht, obwohl selbst ein Administrator bestätigte, dass darin keine Hetze betrieben wurde; auf der anderen Seite dauerte es über zwei Wochen, bis gegen Extremisten wie Linda B.J. vorgegangen wurde. Die hatte einen jüdischen Studenten bedroht: „du drecksjude du scheiß kerl!!! red nocheinmal so über den islam und iunseren Proheten und glaub mir wir machen ausfindig wo du wohnst und dann wirst du dir in die hose machen wenn wir dich verfolgen und wirst sehn was wir dann machen du penner!”.

Um Missverständnissen vorzubeugen, verallgemeinerte sie ihre Aussage am Tag darauf noch einmal: „IHR JUDEN IHR SEIT DOCH DER LETZET DRECK“.

Blogger schlagen Alarm

Es war wohl kein Zufall, dass die Löschung von Linda B.J. unmittelbar nach der Veröffentlichung ihres Falls in einem einschlägigen Internetblog erfolgte: „StudiWatch“ hat innerhalb kürzester Zeit für einige Aufregung in den Nahost-Gruppen im StudiVZ gesorgt. Ihm folgten weitere Blogger, die sich die Dokumentation extremistischer Hetze zur Aufgabe gemacht haben. Mittlerweile ist der Widerstand gegen die stille Duldung antisemitischer Äußerungen auch innerhalb des StudiVZ lauter geworden. Jüdische Studenten um David F. und Julia P., die in Kontakt zu den Bloggern stehen, fordern seit Wochen in der Gruppe „Freunde Israels und der jüdischen Kultur“ des StudiVZ-Gründers Ehssan Dariani die Einrichtung eines Antisemitismus-Ausschusses.

Hamas-Propaganda: Nur ein toter Jude ist ein guter Jude

Hamas-Propaganda: Nur ein toter Jude ist ein guter Jude

„Wir haben zu lange nur reagiert“

Der Protest scheint Früchte zu tragen: „Wir haben das gesamte Material durchgesehen, das David F. uns geschickt hat. In den letzten Tagen wurden sehr viele Leute gelöscht“, sagt Julian Artopé, der neue offizielle Ansprechpartner für jede Form von Extremismus im StudiVZ. Bisher sei man mit der Masse der Anfragen schlicht überfordert gewesen. Mit dem schnellen Wachstum des Portals habe man nicht Schritt halten können. „Das ist keine Entschuldigung für die Versäumnisse der Vergangenheit“, räumt Artopé ein, „wir haben zu lange nur reagiert“. Um künftig aktiv gegen Extremismus vorgehen zu können, wurden 40 neue Mitarbeiter im Supportbereich eingestellt. Artopés Ziel: „Wir wollen 18 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche zeitnah auf alle Anfragen reagieren.“

Nun gilt es für die Betreiber, diese Versprechen einzuhalten, damit das
StudiVZ nicht weiterhin ein kostenloses deutschlandweites Netzwerk für Extremisten aller Couleur bleibt. Tatsächlich werden Meldungen mittlerweile deutlich zügiger bearbeitet. Auch David F. ist zuversichtlich: „Erstmals habe ich das Gefühl, dass das Thema wirklich ernst genommen wird.“

Johannes Kaufmann


Hier gibt's eine kleine Bildershow durch die antisemitischen Ausfälle im StudiVZ.
Links zum Thema:

Eines der vielen Blogs, die sich des Themas annahmen.

Auch im Jewish Dating Blog erscheinen Artikel über antisemitische Gruppen im StudiVZ und merkwürdige Formen der Israelkritik.

 


BUZe bleibt am Ball:

Die Tätigkeit von Julian Artopé war auf ein kurzes Zwischenspiel beschränkt. Mittlerweile ist das StudiVZ wieder zu den Zuständen zurückgekehrt, die im oben stehenden Artikel beschrieben sind. Somit müssen sich die Betreiber des StudiVZ dem Vorwurf stellen, Extremismus und Judenhass auf ihrem Portal zu dulden. Mehr noch, das Verhalten von Campus Captains und Administratoren legt die Vermutung nahe, daß bei der Beurteilung von Verstößen gegen den Verhaltenskodex mit zweierlei Maß gemessen wird – ob aus Feigheit oder gar politischer Überzeugung bleibt offen.

 


Ein erfreulicher Nachtrag:

 

Einer der ursprünglich in diesem Artikel zitierten Autoren antisemitischer Äußerungen hat sich nicht nur von seinen Aussagen distanziert, sondern sich auch dafür entschuldigt. Die entsprechende Passage wurde daher aus dem Artikel entfernt.