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Kategorie Regionales
Ausgabe Exklusiv Online
Autor Johannes Kaufmann

Zu sicher für Rumänen – Eine Führung durch die Asse

Eine halbe Stunde brauche ich, um das Forschungslager Asse bei Remlingen zu finden. Ich steige aus in die eisige Kälte, um das umzäunte und mit Stacheldraht gesicherte Gelände zu begutachten und erste Photos vom Förderturm zu machen, der hinter dem Hauptgebäude in den Himmel ragt.

Den wehrhaften Eindruck der Anlage, in der immerhin Atommüll gelagert wird, trübt aber die Tatsache, dass das Haupttor sperrangelweit offen steht. Von einem Wachmann keine Spur. Nach und nach trudelt der Rest der Gruppe ein, die mit mir heute durch das alte Bergwerk geführt werden soll: Acht Ingenieure der Deutschen Bahn, die auf diese Weise ihren Betriebsausflug gestalten. Nach einigen Minuten in der Kälte, in denen ich mir selbst zu der Entscheidung gratuliere, warme Ski-Unterwäsche angezogen zu haben, werden wir von Herrn Möller in Empfang genommen und in einen kleinen Saal geleitet, der verdächtig nach einem Seminarraum der Uni aussieht. Herr Möller ist Bergwerksführer und PR-Beauftragter. Er weist uns auf die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen unter Tage hin – jeder bekommt Helm und Sauerstoffgerät für den Notfall –, versichert aber sogleich, dass wir beides niemals brauchen würden. Dann erkundigt sich Herr Möller erst einmal nach unseren Berufen. Man müsse vorsichtig sein, was man sage, erklärt er, immer wieder ließen sich auch Journalisten durch den Berg führen, die nur darauf warteten, irgend eine seiner Äußerungen gegen ihn verwenden zu können.
Ich bin der einzige, den er nicht nach seinem Beruf fragt – vielleicht sehe ich ihm zu harmlos aus. So entgeht ihm, dass ich ursprünglich eigentlich nur hier bin, weil die Deutsche Presseagentur mir nicht erlaubt hat, ihre Photos für meinen Artikel in der Unizeitung zu verwenden. Der Artikel ist schon so gut wie geschrieben.
Nach den ersten Erläuterungen über die Statik des Berges ist meine Neugier allerdings geweckt: „Salz ist amorph, plastisch und elastisch“, erklärt Herr Möller, „unter Druck verformt es sich und strebt an den Ort des geringsten Widerstands“. Auf diese Weise sei der Höhenzug entstanden, und das gleiche Phänomen sorge dafür, dass die künstlich geschaffenen Abbaukammern im Salz nicht ewig stabil gehalten werden könnten.
Trotzdem sei alles sicher, das betont er immer wieder. Überhaupt wird uns das Thema Sicherheit den ganzen Tag über begleiten, denn eins unterstreicht Herr Möller immer wieder: Wenn es um Sicherheit geht, übertreiben die Deutschen maßlos. Für die Schließung der Asse hat er kein Verständnis. Immerhin sei dies ein internationales Forschungsinstitut, das schon Wissenschaftler aus den Niederlanden und den USA hergelockt habe. Wenn der Berg versiegelt werde, müsse ein Großteil der geleisteten Forschung wieder von vorne begonnen werden.
Im Einklang mit einem 30-minütigen Informationsfilm versichert uns Herr Möller, dass es an der Erdoberfläche gefährlicher sei als in der Asse. Gegen die kosmische Strahlung schütze der Berg und der radioaktive Abfall sei so gut abgeschirmt, dass die Strahlendosis gerade einmal knapp einem Fünftel der natürlichen Belastung entspreche. In der Asse zu leben sei also gesünder als in der Stadt oder gar auf dem Brocken, wo man der kosmischen Strahlung noch ungeschützter ausgeliefert sei.
Herr Möller ist – durchaus überzeugend – bemüht, alle Sorgen um die Sicherheit zu entkräften. Auf das Problem der Gasentwicklung infolge von Radiolyse gehen aber weder er, noch der Film, noch die vielen Informationsbroschüren der GSF überhaupt ein.

Nachdem die Gruppe mit Helmen und Atemgeräten ausgestattet ist, beginnt die Führung im Fahrstuhl.

Mit zehn Metern pro Sekunde geht es in die Tiefe. Nach etwas mehr als einer Minute steigen wir aus, über 600 Meter unter der Erde. Und bereits nach wenigen Schritten in dieser schummrigen und überraschend zugigen Umgebung ändere ich meine Meinung bezüglich der Ski-Unterwäsche. Es herrschen 26 Grad Celsius, und hier sind wir noch im gut belüfteten Bereich.

Dass Herr Möller das Sicherheitsbedürfnis der Deutschen für übertrieben hält, unterstreicht er eindrucksvoll, nachdem wir alle in einem kleinen, offenen Bus ohne Anschnallgurte Platz genommen haben. Sein Fahrstil ist mörderisch, und der Fahrtwind raubt mir fast den Atem. Dass ein Autounfall wesentlich wahrscheinlicher ist als der Zusammenbruch der Asse, hätte ich ihm aber auch so geglaubt. Doch scheint es hier Gang und Gäbe zu sein, in halsbrecherischem Tempo durch die Dunkelheit unter Tage zu rasen, denn aus vielen Stollen, die wir passieren, dringt das Aufheulen überdrehter Motoren.

Da wir bei jeder Unebenheit in unseren Sitzen unfreiwillig auf und abspringen, ist es mir unmöglich, Notizen in meinen kleinen, furchtbar professionell journalistisch anmutenden Block zu schreiben. Also konzentriere ich mich auf meine Sinneseindrücke. Die Luft ist leicht getrübt von dem Salzstaub, der einfach überall ist. Nach wenigen Sekunden ist meine Kamera von einer feinen Schicht bedeckt. Auch meine Lippen schmecken nach Salz. Nach unserem ersten Stop springe ich vom Wagen und will photographieren. Aber die Salzkristalle in der Luft reflektieren den Blitz und versauen mir fast alle Bilder.

Währenddessen schimpft Herr Möller bereits wieder über sein Lieblingsthema. Vor einiger Zeit seien rumänische Ingenieure hier gewesen. Die seien noch die Arbeitsbedingungen des Ostblocks gewöhnt und hätten die Gründe für die Schließung der Asse gar nicht verstehen können. Alle seine Erklärungsversuche seien gescheitert. Dass rumänische Ingenieure kein Verständnis für deutsche Betriebssicherheit aufbringen, ist für mich nicht gerade ein schlagkräftiges Argument, aber meine Begleiter von der Bahn nicken zustimmend. Vielleicht muss man Ingenieur sein, um den Nervenkitzel rumänischer Arbeitsbedingungen schätzen zu können. Immer tiefer führt uns die Fahrt in den Berg – vorbei an einer Kammer, in der ein Gabelstapler auf einer Betondecke direkt über einer nuklearen Müllhalde abgestellt ist. Aber auch hier sei die Strahlenbelastung nicht sehr hoch, beteuert Herr Möller.

Je tiefer wir kommen, desto wärmer wird es. Bei 775 Metern komme ich mir vor wie im Backofen – und verfluche meine Ski-Unterwäsche. Zu allem Überfluss werden wir auch noch durch einen unbelüfteten Bereich des Berges geführt, in dem einst Experimente mit extremen Temperaturen durchgeführt wurden.

Bei einer zugeschütteten Kammer zeigt uns Herr Möller ein paar Stalaktiten an der Decke. In die Kammer darüber sei etwas Lauge eingedrungen, die durch das Salz gesickert und von der Decke getropft sei, dabei hätten sich diese Formationen gebildet. Auf einen Kommentar zum Thema Sicherheit verzichtet er an dieser Stelle.

Dann kommen wir endlich zum Höhepunkt der Führung: Hinter einer alles andere als sicher wirkenden Absperrung präsentiert sich uns eine Geröllhalde, aus der malerisch zwei Metallfässer herausragen. Touristenatommüll, denke ich mir, denn bei all diesen „völlig übertriebenen“ Sicherheitsvorkehrungen kann ich mir kaum vorstellen, dass die Lagerkammern so schlampig verfüllt werden, dass am Ende noch halbe Fässer herausschauen.*

Aber wenn man sich schon durch ein Endlager führen lässt, will man schließlich auch einen Blick auf den Müll werfen dürfen. Übrigens habe man in dieser Kammer fast das Strahlungsniveau auf dem Brocken erreicht, wirft Herr Möller fröhlich ein. Über die Absperrung solle man aber besser trotzdem nicht fallen – die ist übrigens selbst für Herrn Möller etwas zu unsicher, gerade wenn Kinder dabei sind. Ob rumänische Ingenieure das wohl genauso sehen?

Nach anderthalb Stunden ist die Führung vorbei, und der Fahrstuhl bringt uns wieder nach oben, zurück in die Kälte. Meine Haare und mein ganzer Körper sind mit Salzstaub bedeckt, und ich bin halb verdurstet wegen des Aufenthalts in der warmen, salzigen Luft. Aber natürlich habe ich nichts zu Trinken mitgenommen. Nachdem ich mich von Herrn Möller verabschiedet habe, steige ich in mein Auto, um nach Hause zu fahren, heim zu meiner Dusche. Bei der Berechnung der Sicherheit der Trägerkonstruktion des Bergwerks würden wesentlich strengere Maßstäbe angesetzt als bei der Autokonstruktion, hatte Herr Möller zu Beginn der Führung gesagt. Irgendwie fühle ich mich hier aber trotzdem wohler.

Johannes Kaufmann

Hier geht's zum Artikel aus der Printausgabe WS06/07 über den Atommüll in der Asse.


* Tatsächlich enthalten die Fässer Technik zur Messung von seismischer und Radioaktivität. Der Dank für diese Information gilt unserem Leser Hauke Sandhaus.