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Der Nestbeschmutzer
Kategorie Der Nestbeschmutzer
Ausgabe WS0607 - 4
Autor Axel Klingenberg

Der Nestbeschmutzer IV - Heute mach ich mal den Grass

Tärä! Tärää!! Tätärätätä!!! Seit fünfzehn Jahren wohne, ja lebe ich in Braunschweig. Das ist doch ein schöner Anlass, um meinen ersten Abend hier in der großen Stadt einmal Revue passieren zu lassen. Im Gegensatz zu Günther Grass leide ich nämlich nicht an einer jahrzehntewährenden Amnesie.

Meine erste Wohnung war ein „Appartement“ im Westlichen Ringgebiet, bestehend aus einem Zimmer, einer Kochnische und einem Bad. Es herrschte damals Wohnungsnot, und ich schätzte mich glücklich diese wundervollen Quadratmeterchen bewohnen zu dürfen – zugegebenermaßen für eine horrende, eigentlich gegen die guten Sitten verstoßende Summe. Zudem meine Wohnung ja auch noch im allerbesten Viertel lag – das mit den vielen Ausländern, der lauten Musik und den urbanen Gehwegen. Wer saubere Straßen haben will, so dachte ich damals, kann ja nach Bad Oeynhausen ziehen oder in einen anderen Kurort. Und in wenigen hundert Metern Entfernung ratterte in regelmäßigen Abständen die Straßenbahn vorbei und vervollkommnete dieses metropolitane Flair. Vorher hatte ich in einem Dorf in der Lüneburger Heide gewohnt und von dort nicht nur meine spärlichen Möbel, sondern auch zwei Freunde mitgebracht, die mir beim Umzug halfen. Nun, die Wohnung war schnell vollgestellt, denn außer einem Futon, drei Regalen, meiner Anlage und einer Munitionskiste für kleinere Habseligkeiten brauchte ich nichts.

Ebenfalls mitgebracht hatte ich jedoch eine Reichskriegsflagge, die ich einst auf dem Uelzener Griepemarkt erworben hatte.

Schon damals war meine Heimatgemeinde so etwas wie eine „national befreite“ bzw. „braune“ Zone gewesen, es regierten also Irrsinn und Dummheit. Der Nationalsozialismus hatte es sich hier in der Nachkriegszeit gemütlich gemacht, zwischen Schafen, Bauern und BGS-Beamten, die es hier (der Grenze zur DDR geschuldet) in Massen gab.

Der Tag meines Umzugs war jedenfalls der 3. Oktober, der Nationalfeiertag, und ich dachte, dass dies ein guter Anlass sei, einen symbolischen Schlussstrich zu ziehen. So flanierten wir drei nach getaner Arbeit und dem Genuss einiger Feierabendbiere durch das Viertel und beschlossen, da es schon dunkel war, die Nacht durch das Abbrennen der schwarz-weiß-roten Fahne mit dem Eisernen Kreuz zu erhellen. Es war uns wohl nicht bewusst, dass ein derartiges Verhalten auch in einer Großstadt eher ungewöhnlich war. So stellten wir uns auf den Europaplatz an die Straßenbahnhaltestelle und zündeten das Ding an. Fahnenverbrennungen sehen ja immer toll aus im Fernsehen mit diesen flackernden Flammen und so. Bei uns dagegen schmirgelte das Plastik einfach vor sich hin, unspektakulär, langweilig und stinkend. Etwas lustlos wedelten wir mit dem Ding herum. Und da sich auch niemand außer uns auf dem Platz befand, gab es auch keine skandierende Menge, keine Sprechchöre, keine hassverzerrten Gesichter, nur das eine oder andere Auto fuhr an uns vorbei.

Und eines davon hielt und mehrere Männer stiegen aus.

Ein faschistisches Rollkommando!

Wir nahmen die Beine in die Hand bzw. Reißaus, rannten über die Straßen und versuchten, über einen Zaun zu entkommen.

Nun, ich hatte es fast geschafft, doch meine beiden Freunde waren festgehalten worden, und zwar nicht von Nazis, sondern – glücklicherweise, möchte ich fast sagen – von Zivilbeamten der Polizei.

Wir ergaben uns daher ohne weiteren Widerstand. Auch ich kletterte von meinem Zaun herunter.

Die Polizisten zeigten auf den kläglichen Rest der kläglichen Fahne, stocherten darin herum und fragten, wem das gehöre.

„Mir!“ antwortete ich wahrheitsgemäß, „Die habe ich mal gekauft!“

Ungläubig sahen sie mich an. Dann wollten sie wissen, wo wir wohnen und als ich ihnen sagte, dass dies mein erster Abend hier in Braunschweig sei, zeigten sie sich noch irritierter, kamen aber wohl letztlich zu dem Schluss, dass wir arme, aber harmlose Irre seien, und so beließen sie es dabei und ließen uns laufen, ohne jedoch zu vergessen, uns die Fahnenreste in den Mülleimer bringen zu lassen.

Wenige Monate später durfte ich dann auf einer Demo gegen einen Naziaufmarsch (Größenverhältnis: 20 Nazis, 200 Antifaschisten), tatsächlich einer Fahnen- bzw. Transparentverbrennung beiwohnen. Da flackerte der Lappen auch durchaus ansprechend und drumherum standen wir und skandierten Parolen, wie es sich gehört.

Auch da ließ uns die Polizei gewähren, bzw. war wohl einfach von uns überrumpelt worden, und beendete die Veranstaltung schließlich, in dem sie die – teilweise weinenden – Nazis zum Bahnhof karrte.

Auch in späterer Zeit wurde ich durchaus noch Zeuge bzw. Opfer des einen oder anderen Polizeieinsatzes – dieser erste jedoch auf dem Europaplatz blieb mir der liebste.

Im Gegensatz zu Günther-“Aber-ich-war-an-keinen-Verbrechen-beteiligt“-Grass besteht auch nicht die Gefahr, dass mir später noch einfallen wird, dass ich ja auch noch Ortsgruppenleiter der NSDAP/AO gewesen bin, denn tatsächlich war ich bloß einige Jahre meines Lebens – und das sind nicht die, auf die ich stolz bin oder sein darf – ein ganz gewöhnlicher deutscher Jugendlicher, einschließlich der Mitgliedschaft im Schützenverein.

Axel Klingenberg



www.axel-klingenberg.de