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Ausgabe WS0607 - 4
Autor Sonja Uphoff

Kokoseis mit Coup 'd Etat - Eindrücke aus Bangkok aus den Tagen des Putsches

Der Abend des 18. Septembers ist angenehm kühl. Man kann draußen sitzen, ohne zu schwitzen. Es ist Montag, und alle sind erholt. Und so sitzen wir wie fast jeden Abend im Dream und trinken Singha-Bier. Wir: Julia und ich machen ein Praktikum an einer katholischen, internationalen Uni in Thailand. Unsere Aufgabe ist es an Straßenständen Essen zu kaufen, es in eine neue Sorte Plastikkontainer zu füllen und täglich die Anzahl der Bakterien abzuschätzen. Auf diese Weise sollen wir feststellen, ob in den neuen Plastikkontainern Essen langsamer vergammelt, als in den alten. Julia fand ja, ich fand nein. Wir sind uns einig, dass es keinen Sinn hat, Dienstag morgen ausgeschlafen zu sein. Dann ist da noch Ford, ein ehemaliger Student an unserem Institut, der heute Röntgengeräte verkauft und P'Pia. Was P'Pia eigentlich den ganzen Tag macht, ist keinem so richtig klar, aber abends trifft man sie im Dreams.

Es ist etwa zehn, als Ford aufsteht, um an einer ruhigeren Stelle zu telefonieren. Ich habe den Eindruck, dass Thais andauernd und in jeder Situation telefonieren können. Es kann einem passieren, dass man mit zwei Thais, nennen wir sie P'Pia und Joy, Essen geht und beide die gesamte Zeit telefonieren. Deshalb macht es mich stutzig, dass Ford extra aufsteht. Ich komme aber nicht dazu, ihn zu fragen, was los ist. Sobald er zurück kommt, bricht eine aufgeregte Diskussion auf Thai los. Ich kann aufschnappen, dass mehrmals das Wort „Soldaten“ erwähnt wird. Ford erklärt uns auf Englisch: Er hat einen Freund; der ist beim Militär. Im Moment befindet er sich auf dem Palastvorplatz. Es sind auch Panzer da. Einige andere Studenten berichten von Panzern am Viktory Monument, die auf dem Weg zum Parlament seien.

Vielleicht hatte mein Chef recht, als er neulich meinte, den Präsidenten werde bald jemand erschießen. Schade wäre es nicht. Wie kommt mein Chef, der Weine sammelt und Golf spielt, zu so aufrührerischen Ansichten? Ich musste im Internet recherchieren:

Nach der Wirschaftskrise 1997 hatte Thailand 2002 einen machterfahrenen Mann aus der Wirtschaft zum Präsidenten gewählt: Taksin Schinawatra, dem unter anderem Thailands größtes Mobilfunknetz und ein Fernsehsender gehörten. Der baldige Wirtschaftsaufschwung sicherte die Unterstützung des Big Business. Die Politik Taksins, genannt „Taksinomics“, warb um die Unterstützung der Landbevölkerung: Schuldenerlass, Kleinkredite, Aufbau einer öffentlichen Krankenversicherung. Er wurde 2005 wiedergewählt, was noch nie zuvor einem thailändischen Präsidenten gelungen war. Aber dann schlug seine Popularität um: Die Presse begann immer mehr über Korruption, Steuerhinterziehung und den Einfluss und Reichtum der Schinawatrafamilie zu berichten. Es gab eine ganze Menge aufzudecken. Taksin antwortete mit Versuchen, die Pressefreiheit einzuschränken. Demonstrationen machten den Verkehr in Bangkok noch unerträglicher als sonst. Im seperatistischen Süden des Landes kam es wöchendlich zu Anschlägen, worauf Taksin, wenig erfolgreich, mit harter Hand reagierte. Im Frühjahr 2006 wurden vorgezogene Neuwahlen abgehalten, die aber für ungültig erklärt wurden. Das Land befand sich in einer Pattsituation: Die Stadtbevölkerung stand größtenteils auf der Seite der Opposition, während die Landbevölkerung Taksin loyal blieb. Es musste also etwas geschehen. Es musste jemand eingreifen, um die Demokratie wieder zum funktionieren zu bringen...

Jener Montagabend war wie geschaffen, um etwas geschehen zu lassen. Es hatte Auseinandersetzungen gegeben, wie mit dem Süden zu verfahren sei. Taksin hatte einen einflussreichen General gefeuert. Danach war er nach New York zu einer UN-Konferenz geflogen. So geschah das, was man einen Coup d'Etat nennt. Im Dreams kann ich die Leute an der Theke überreden, CNN einzuschalten und die Musik abzustellen. So bestätigt sich, was wir schon wissen: Es setzt sich gerade über Nacht eine Militärregierung ein. Sämtliche thailändischen Sender zeigen nur noch Kinderbilder und übertragen vom König persönlich geschriebene Hymnen. Etwa zwei Stunden später hält jener gefeuerte General eine Ansprache, in der er sich für etwaige Unannehmlichkeiten entschuldigt und ansonsen nicht viel sagt. Zumindest lasse ich mir das so übersetzen. Die Stimmung ist zwiegespalten. P'Pia erinnert besorgt daran, dass es in den letzten fünfzig Jahren zahlreiche Coups gab und dass einige zu ziemlich blutigen Aufständen geführt haben. Als reiche Stadtbewohnerin sorgt sie sich eher um pöbelnde Massen als um das Militär. Aber Ford findet, Hauptsache wir sind Taksin los und bestellt Bier für alle.

Um eins macht das Dreams zu, dieses eine Mal die Sperrstunde penibel einhaltend. Am nächsten Morgen finde ich am Ausgang des Wohnheims ein Schild „Class will be canceled today. Do not wander out of the neighborhood“. Das Tor zur Uni ist geschlossen, und es stehen sechs Wachmänner davor. Doppelt so viele wie gewöhnlich. Dabei ist auf dem ganzen Campus überhaupt niemand. Es ist ein nationaler Feiertag ausgerufen worden, der anscheinend nur für Wachmänner nicht gilt - und für Ausländer, die die Nachrichten nicht verstehen. Die Uni ist verlassen, die englischsprachigen Zeitungen in der ganzen Umgebung ausverkauft. Den Morgen verbringe ich im Büro - Nachrichten im Internet lesend und mich über die ganzen besorgten E-Mails aus Deutschland freuend. Alle halbe Stunde kommt ein Wachmann vorbei, sonst ist kein Mensch zu sehen. Die Nachrichten werden nicht oft genug aktualisiert. Ich habe sie alle schon gelesen. Ich brauche irgendetwas zu tun! Ich möchte wissen, was eigentlich los ist. Glücklicherweise geht es nicht nur mir so. Gegen eins ruft mich Joy an. Es ist ein freier Tag, und man kann einen Ausflug in die Innenstadt machen - „Look Tank“ . Nachdem ich meiner Mutter telefonisch versichert habe, dass ich sicher bin und nirgendwo hingehe und mich auf keinen Fall in die Nähe von Militär begebe, geht’s los. Joy ist der Situation entsprechend gekleidet: Ein gelbes T-Shirt mit Aufschrift „Ich liebe den König“ und Camoflage-Hotpants. Auf dem Weg mit Joys Auto in die Innenstadt denken wir uns Begründungen aus, warum man uns in die Innenstadt lassen muss. Aber zu Joys Enttäuschung steht nirgends ein Panzer, um uns aufzuhalten. Von dem unglaublichen Verkehrsaufkommen Bangkoks ist heute nichts zu merken. Wir sind schnell in der Innenstadt und laufen zu Fuß zum Parlament. Dann sehen wir die Panzer, geschmückt mit gelben Bändern und posierenden Soldaten. Auch um die Läufe ihrer Maschinengewehre haben sie gelbe Bänder gebunden. Gelb ist die Farbe des Montags, und der König ist an einem Montag geboren. Ganze gelbgekleidete Familien sind gekommen um ein Erinnerungsfoto zu machen - oder viele. Wo es Menschen gibt, finden sich natürlich auch gleich die Straßenverkäufer mit ihren Kokosnusseis- und Obstständen ein. Es gibt sogar meine Lieblingssorte: Kokosnusseis mit eingelegtem Kürbis und Kokosreis. Joy erzählt, dass sich der König bisher noch nicht zu den Vorfällen geäußert habe, was auf seine Zustimmung hinweise. Niemand werde etwas gegen den Willen des Königs unternehmen, denn jeder liebe den König und respektiere ihn für seine Klugheit. Deshalb werde es auch keine Aufstände geben. Tatsächlich haben keine nennenswerten Proteste stattgefunden. Die Verehrung der Menschen für ihren König - "MY King", sagt Joy, die sonst englische Personalpronomen und Artikel komplett ignoriert - scheint dafür ins Unermessliche gewachsen zu sein. Selbst Ausländer habe ich in den folgenden Wochen immer wieder sagen hören, dass sie dem König zum Wohl des Landes noch ein langes Leben wünschen.

Sonja Uphoff