Marcs Problem mit dem AStA – Eine Antwort von Johannes G.
Aufgebaut wird die Kritik über die im AStA-Fenster ausgehängten Plakate, deren Inhalte als Meinung des AStAs behandelt werden. Untermauert werden die Anschuldigungen durch Zitate aus einem persönlichen Gespräch mit Mitgliedern des AStA-Vorstandes* im WiSe 05/06. Dieses Gespräch war explizit nicht für die Verwendung in Zeitungsartikeln gedacht und rein privater Natur. Der AStA-Vorstand als Gremium gab gegenüber Marc keine Stellungnahme ab.
Die beschriebenen Plakate sind tatsächlich gut geeignet, polemisiert zu werden, da sie entweder stark übertriebene Darstellungen oder utopische Forderungen darstellen. Das Plakat des brennenden Göttinger Arbeitsamtes kann in der Tat als Aufruf zur Gewalt gewertet werden – ein James Bond Film aber auch. Es kommt immer darauf an, auf welche Weise man sich auf eine Aussage oder Idee einlassen möchte. Man kann ihre Oberfläche nehmen, daran einen Makel finden und den zur Diskreditierung der gesamten Idee nutzen. Ein Beispiel: Weil Steinmeier die Rückkehr von Kurnaz nach Deutschland verhindern wollte, ist Deutschland, das Steinmeier mittlerweile als Außenminister repräsentiert, ein islamfeindliches Land. Klingt nach der Argumentation islamistischer Extremisten. Ähnlich verhält es sich mit der von Marc geäußerten Kritik: Weil im AStA-Fenster ein Plakat für „eine Gesellschaft ohne Knäste“ hängt, fordert der AStA nach Marcs Aussage, Kinderschänder frei herumlaufen zu lassen. Die Idee des Plakats, nämlich zu hinterfragen, ob Gefängnisse nicht vielleicht einige Probleme wegsperren, anstatt sich mit ihren Ursachen zu beschäftigen, tut er im gleichen Atemzug als unsinnig ab. Die Forderung, Knäste völlig abzuschaffen, fordert natürlich berechtigte Kritik heraus – das soll sie auch. Die Plakate, die im AStA-Fenster hängen, geben keinesfalls die Meinung des AStA-Vorstandes wieder (außer, wenn der AStA draufsteht), sondern sind als Hinweise auf interessante Themen gedacht. Bis jetzt hat sich auch noch niemand über die Partyplakate beschwert, die neben politischen Plakaten hängen, mit denen der AStA aber genauso wenig zu tun hat. Wer sich das Fenster öfter anschaut, wird vielleicht bemerkt haben, dass neben dem „Knastkampagne“-Plakat eine Zeit lang die Ankündigung einer Aufführung des Polizeichors Braunschweig hing...
Ich persönlich finde einige der Plakate, die ihren Weg ins Fenster finden, auch problematisch, da sie oft relativ platt sind. Aber das liegt auch in der Natur von Plakaten. Sie müssen platt und angreifend sein, um überhaupt Beachtung zu finden im Dschungel aus bunter Werbung für Produkte, Parties, Parteien etc., den die Kulturindustrie uns täglich entgegenspuckt.
Kritisiert wird aber nicht nur die Form, sondern auch die grundsätzliche Ausrichtung der Arbeit des AStA. Kapitalismuskritik wird als GaGa-Kritik dargestellt. Angesichts der offensichtlichen Probleme wie hoher Arbeitslosigkeit, Stress in der arbeitenden Bevölkerung, Naturzerstörung etc., die der Kapitalismus mit sich bringt, ist das ziemlich kurzsichtig. Dass „Kapitalismus abschaffen“ allein keine Lösung sein kann, ist auch den AStA-Mitgliedern nicht verborgen geblieben. Der „reale Sozialismus“, egal ob in der DDR, auf Cuba oder in Venezuela hat ähnliche und andere Probleme. Die Abwesenheit einer fertigen Alternative delegitimiert aber keinesfalls die Kritik am Bestehenden. Vielmehr sollten Alternativen gesucht und Lösungsansätze kritisch begutachtet werden. Dass die politische Entwicklung in Venezuela viele unschöne Seiten hat, bestreitet niemand im AStA. Trotzdem kann man die Veränderung als Hoffnung für die unterdrückte indigene Bevölkerung Latein- und Südamerikas bezeichnen. Die Kritik kommt in der Außenwirkung vielleicht etwas zu kurz. Das liegt wohl daran, dass Kritik an den etwas sozialistischeren Gesellschaften in der etablierten Politik- und Medienlandschaft überproportional vertreten ist.
Zu allgemeinpolitischen Themen eigene detaillierte Texte zu verfassen, ist im AStA leider meist nicht möglich. Hochschulpolitik und Servicearbeit nehmen den Großteil der Zeit ein. Eine undifferenzierte Darstellung der allgemeinpolitischen Themen, die der AStA für interessant hält, ist dem Engagement für Servicearbeit und Hochschulpolitik geschuldet. Wer sich nicht auf die geäußerten allgemeinpolitischen Positionen einlassen will, hat es einfach, den AStA zu kritisieren – und das gerade, weil er eben nicht „sektiererischen Schwachsinn“ verzapft, sonder sich hauptsächlich mit Studiengebührenboykott und – verteilung, Semestertickets und Ähnlichem befasst. Wer sich aber auf die Positionen einlassen will, findet vielleicht Anstöße für eine Gesellschafts- und Kapitalismuskritik jenseits von Münteferings „Heuschrecken“. Diese Kritik hat die Gesellschaft meiner Meinung nach bitter nötig. Und auch Studierende sollten sie äußern, schließlich gehören sie zu den Menschen mit den größten Freiheiten in unserer Gesellschaft. In diesem Sinne spreche ich mich klar für eine Verfasste Studierendenschaft mit uneingeschränktem politischen Mandat aus. Das Mandat verstehe ich als informatives Mandat nach innen sowie nach außen.
*Der AStA-Vorstand besteht aus bis zu 5 Studierenden und wird vom Studierendenparlament gewählt. Die Mitglieder des AStA-Vorstandes erkennt man daran, dass sie zu allen möglichen Tag- und Nachtzeiten im Glaskasten neben der Mensa I zu finden sind. Aber nicht alle, die im Glaskasten oder in anderen AStA-Räumen sind, gehören auch zum Vorstand. Einige sind AStA-Referenten für spezielle Themen, andere Fachschaftler oder einfach Bekannte, die zum Essen vorbeikommen.
Johannes Gütschow
Johannes ist Mitglied des AStA-Vorstandes im WiSe 06/07