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Ausgabe SoSe06 - 2
Autor Folko Damm

WM-Spezial - Patriotismus

Deutschland besucht vierwöchiges Fortbildungsseminar

Es begegnete uns überall, vier Wochen und noch länger: Das WM-Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“. Klar, die „Welt“ war hier bei uns, in Deutschland. Gäste aus 32 Nationen und Fußballverrückte aus allen Winkeln der Erde zelebrierten die Fußball-Weltmeisterschaft, machten sie zu einem farbenfrohen Spektakel und huldigten der „Ersatzreligion“. Größtenteils herrschte friedvolle Stimmung und die pure Freude an der schönsten (Neben-)Sache der Welt vor – beim Public Viewing, auf den Fanmeilen, rund um die Stadien, in den Altstadt-Kneipen, Grillrunden etc. Denn wir waren, was das Motto uns auftrug zu sein, nämlich Freunde. Aber war wirklich nur die Welt zu Gast in Deutschland? Stattete nicht vielleicht die Nation sich selbst auch einen vierwöchigen „Besuch“ ab, indem sie ein Fortbildungsseminar in Sachen Vaterlandsliebe belegte? „Positiven Patriotismus“ hatten die DFB-Offiziellen in Person von DFB-Teammanager Oliver Bierhoff kurz vor Turnierbeginn gefordert. Und der Appell des smarten Ex-Profis mit abgeschlossenem BWL-Studium sollte nicht ungehört verhallen. Die Welle der Euphorie begann bereits nach dem Eröffnungsspiel gegen Costa Rica und dem „Last-Minute“-Erfolg über Polen zu schwappen, nahm Fahrt auf bei den überzeugenden Siegen gegen Ecuador und Schweden und erreichte bei dem Zittersieg durch Elfmeterschießen über den Favoriten Argentinien ihren vorläufigen Höhepunkt.

Selten bis niemals war es einfacher, unbeschwerter, unverfänglicher und vor allem gesellschaftlich besser gelitten als in diesen Tagen, die deutschen Farben zu präsentieren. In allen Facetten. Flaggen, Wimpel und Fahnen auf Balkonen, an Fenstern und Dächern, an Privat-PKW und Taxen – überall schwarz-rot-gold. Sicher, auch die Endspiel-Verlierer von 2002 waren auf dem Frankfurter Römer von rund 30000 Fans wie Weltmeister empfangen und frenetisch bejubelt worden. Aber selbst der spektakuläre 8:0-Kantersieg über die überforderte Elf aus Saudi-Arabien hatte damals nicht annähernd die Aufbruchstimmung ausgelöst, die seit dem Eröffnungsspiel der Heimspiel-WM zu verzeichnen war. Die Begleiterscheinungen des Championats in Japan und Südkorea halten diesbezüglich nicht annähernd einem Vergleich mit 2006 stand. Nein, diesmal war es anders. Damals startete eine Elf ins Turnier, über deren Einzug ins Achtelfinale man sich bereits gefreut hätte. Der jungen Truppe von heute um ihren Kapitän Michael Ballack hingegen wäre alles andere als überzeugender Spaßfußball, der sie durch die K.o.-Runden trägt, als Enttäuschung und Versagen ausgelegt worden, noch dazu im eigenen Land. Auch wenn letztlich Gegenteiliges behauptet wurde im Sinne von: "Toll, dass sie überhaupt so weit gekommen sind." Nichts als Koketterie. Millionen von Fans, Sympathisanten, Spieler, Offizielle, Politiker, Journalisten – (fast) alle waren diesmal bereit für den ganz großen Wurf. Deutschland schien förmlich danach zu lechzen, Farbe zu bekennen und buchstäblich Flagge zu zeigen. Wie passend, dass die überzeugenden Auftritte der „Klinsmänner“ mit ihrem attraktiven Offensivspiel tatsächlich einen Anlass dazu boten. Dass einige Bedenkenträger wie die GEW die Euphorie eher kritisch beäugten und dem kollektiven nationalen Freudentaumel durchaus mit Skepsis begegneten, fiel dabei nicht wirklich ins Gewicht.

Warum denn auch sich in die nur vier Wochen lang kochende WM-Suppe spucken lassen? Jetzt, eine gute Woche nach dem Halbfinal-Aus der deutschen Mannschaft gegen die Defensivkünstler aus Italien und vier Tage nach dem Spiel um die „goldene Ananas“ wird die „Du-bist-Deutschland“-Stimmung wieder so schnell verschwinden wie sie aufgekommen war. Der Stolz auf schwarz-rot-gold wird schon bald nicht mehr öffentlich zur Schau gestellt werden, und die Aufbruchstimmung weicht wieder dem Trott des bundesdeutschen Alltags. Ab jetzt beginnen zwei Jahre, in denen wieder munter darüber debattiert werden kann und wird, wieviel öffentlicher Patriotismus unserem Land angemessen ist und wieviel davon ihm gut zu Gesicht steht. Zwei Jahre bis zum nächsten Großereignis, in dessen Fahrwasser es so einfach und so herrlich legitim und unpolitisch ist, sich zu Deutschland zu bekennen. Der Event heißt übrigens – wie könnte es anders sein? – EM 2008 in Schweiz und Österreich.