Menu:

Kategorien


Internationales
BUZe kontrovers
Feuilleton
Studentische Initiativen
Im Gespräch mit...
Politik
Sonstiges
Aus den Fakultäten
Rezensionen
Regionales
Editoriale
Buschlinger ist sauer
Studentenleben
Der Nestbeschmutzer
Kategorie Feuilleton
Ausgabe WS0607 - 3
Autor Johannes Temeschinko

Klinsi, move the Kraut!

Eine Nachlese der Fußball WM 2006 in und mit Deutschland, aber halt: In diesem Text geht es nicht um Fußball.


Jetzt, nachdem die Welle der Euphorie verebbt und der Alltag ins Land zurückgeschwappt ist, nachdem der „Wurst Nigthmare“, wie die britische SUN einfühlsam titelte, uns Dank eines wohl verdienten dritten Platzes herzlich schnuppe sein kann, nachdem die letzten Wimpel und Flaggen eingeholt oder abgerissen sind, ja jetzt wird es Zeit, rückblickend Bilanz zu ziehen.

Was oder ob überhaupt sich in unserer Studentenstadt durch dieses sportliche wie gesellschaftspolitische Großereignis geändert hat, lässt sich insgesamt schwer überblicken, doch einzelne Aspekte reichen aus, um eine Tendenz abzulesen.

Es bleibt zu hoffen, dass den Italienern nach einem beispiellosen Siegesrausch nicht der Kater zusetzt, wenn sich ihre Helden unversehens in de Regionalliga wieder finden. Da lässt sich aber sicherlich mit einigen Koffern unterm Schreibtisch noch drüber reden. Unzweifelhaft war jedoch das Verhalten eines nicht ganz geringen Anteils Braunschweiger Studenten schon vor dem Aus gegen die Azzuri höchstens zweitklassig, denn das 'Public Viewing' im Audimax der TU musste nach dem Viertelfinale aus Gründen des massiven Betrugsversuches eingestellt werden.

In Kooperation der VWI ESTIEM Hochschulgruppe BS e.V. und Unikon e.V. hatten sich engagierte Studierende der TU dazu entschlossen, die Vorrundenspiele der deutschen Elf im Audimax zu zeigen, was aufgrund des überwältigenden Zuspruchs verlängert wurde, so dass auch noch das Achtel- sowie Viertelfinale gezeigt werden konnten. Müßig zu erwähnen, dass die Ehrenamtlichen nicht so intensiv das Spielgeschehen verfolgen konnten, da sie zugleich in den Ablauf der Veranstaltung eingebunden waren.

Daneben war die Initiative von Beginn an aufgrund lizenzrechtlicher Bestimmungen von Seiten der FIFA vollkommen unkommerziell; das heisst im Klartext, jeder Fußballfan hatte die Möglichkeit, die Spiele dort kostenlos zu sehen. Lediglich zur Kontingentbeschränkung der vorhandenen Sitzplätze – und das sind im Audimax nun einmal die roten Sessel und nicht jeder Quadratmeter, auf dem Mensch noch sitzen könnte – wurde ein Pfand in Höhe von einem Euro durch den Verkauf von Eintrittskarten erhoben.

Somit sollte insbesondere gegenüber der Leitung der TU sichergestellt werden, dass aus Sicherheitsgründen nicht zu viele Studierende im Raum sind.

Der Vollständigkeit halber muss dazu erwähnt werden, dass jeder Besucher den Pfandeuro zurückerhalten oder wahlweise ein Bier dafür bekommen hat. Es wurde demnach auch das leibliche Wohl nicht stiefmütterlich behandelt. Jedoch kam es, nachdem das Prinzip der Pfandkarten als 'Geschäftsidee' erkannt wurde, vermehrt zu der nicht kalkulierten Situation, dass Studierende mit Hilfe von falschen, das heisst vorher fotokopierten, Karten versucht haben, sich einen noch günstigeren Zutritt zum Audimax zu erschleichen. Im Zuge dessen ließen diese sich das Pfandgeld auszahlen, das sie im Vorfeld nicht entrichtet hatten.

In Einzelfällen soll von 15 gefälschten Karten, bei Einzelpersonen wohlgemerkt, die Rede sein, womit hier eine ganz klarer Fall von grober Unsportlichkeit vorliegt, der selbst Colina die Haare zu Berge stehen ließe.

Insbesondere dadurch, dass es anscheinend hemmungslose Sparfüchse gibt, die eine chronische Geiz-ist-geil-Mentalität verinnerlicht haben, und die somit ihresgleichen den Mittelfinger zeigen, diffamieren sie nicht nur das Engagement ehrenamtlicher Organisatoren sondern untergraben gleichzeitig den Gedanken des sportlichen Miteinander. Wenn es nicht so traurig wäre, müsste an dieser Stelle rückwirkend der Platzverweis gefordert werden, denn es handelt sich der Devotionaliendichte zufolge zu einem nicht unwesentlichen Anteil um jene fahnenschwingenden Horden, die sportliche Begeisterung mit Nationalismus und Revanchismus verwechseln.

Und plötzlich ist alles beim alten: der neo-patriotische Gröhlbolzen kann sich doch nicht ernsthaft als Fan verstehen, als einer, der die Welt zu Gast hat, wenn es ihm und ihr keine schlaflosen Nächte bereitet, andere Studenten, also Leute seines sozialen Milieus und Lebensumstands, um die lächerliche Summe von einem Euro zu prellen. Aber es wird getan, was möglich ist.

Wie soll man sich auch die Hand reichen, wenn links die Flagge und rechts die Bierflasche gehalten werden muss? Man darf dies nicht falsch verstehen: Auch ich begrüße im Zuge der WM einen gewandelten, lockeren Umgang mit nationalen Insignien, die ohnehin bislang viel zu stark vom rechten Jahnhagel besetzt gehalten werden. Wir dürfen als Bürger dieses Staates die Fahne nicht den Fleischmützen überlassen, aber daneben offenbarte sich mit jeder weiteren Runde – nach dem Spiel ist vor dem Spiel! – ein unreflektierter Party-Patriotismus, dessen einzige Aussage im Bekenntnis zu Deutschland besteht. Dabei kommt man schnell in die Versuchung, die deutsche Nationalmannschaft mit dem Vaterland gleichzusetzen, doch Ballack wird die Mehrwertsteuer nicht wieder heruntersetzen und Poldi wird auch mit 40 Toren in der kommenden Saison nichts daran ändern können, dass die Kassenbeiträge (mal wieder) steigen. Und insbesondere den derzeit noch Angestellten der Allianz-Gruppe und der Telekom wird die Stimmung schnell vergangen sein, als ihre Arbeitgeber aufgrund des Drucks seitens ihrer Aktionäre und Vorstände die Gunst der Stunde willfährig ausgekostet haben, sie unverblümt auf die Straße zu setzen.

Doch die mangelnde Einstellung zu Fragen der Brüderlichkeit und Einheit zeigt sich, wie bereits angedeutet, bereits im Detail, wenn es Studenten nicht darauf ankommt, sogar ihresgleichen um einen symbolischen Betrag zu betrügen. Ich sehe hier vielfach eine fehlgeleitete, falls überhaupt vorhandene Identifikation mit den Werten, die ihr und wir alle stets zur Melodie der Nationalhymne mitgebrummt haben.

Es lohnt sich nicht, von globaler Freundschaft zu faseln, wenn es im Kleinen schon nicht klappt, rechtschaffend zu sein. Denn erst dann wird die schwarz-rot-goldene Fahne mehr als ein Umhang à la Batman oder ein zweckentfremdetes Röckchen werden.

Klinsmann hat es tatsächlich geschafft, die Menge wieder zu bewegen (im doppelten Wortsinn) – jetzt kommt es tatsächlich nur noch darauf an, dieser Bewegung die richtige Richtung zu geben und ich denke, was den Aspekt der alltäglichen Umsetzung enthusiastisch beschrieener Werte angeht, besteht auf jeden Fall nach Spielraum zur Verbesserung.