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Der Nestbeschmutzer
Kategorie Der Nestbeschmutzer
Ausgabe SoSe06 - 2
Autor Axel Klingenberg

Der Nestbeschmutzer II - Brot und Spiele

Brot und Spiele

oder

Fußball ist unser Leben, und morgen gehört uns die Welt


Die Stadt war festlich geflaggt, und auch die Autos fuhren schwarzrotgoldene Fähnchen spazieren. Bloß schnell wieder nach Hause, dachte ich. Aber vorher noch schnell ein Brot kaufen.

„Einen schönen Fußballabend wünsche ich noch“, sagte die Verkäuferin zum Abschied.

„Ich bin nicht so der Fußballfan“, antwortete ich diplomatisch.

Sie sah mich verständnislos an. „Aber wenn Deutschland spielt, dann guckt man doch schon mal, oder?“

„Wenn, dann nur in der Hoffnung, dass Deutschland verliert“, antwortete ich ihr, sie hatte es ja nicht anders gewollt.

Jetzt entglitten ihr vollends die Gesichtszüge. „Aber man kann schon bösartig sein, oder?“ fragte sie rhetorisch.

Ich nickte, lächelte und verließ den Laden.

Na klar, ich mime gerne mal den bad guy, das ist schon okay. Aber ich muss gestehen, dass ich doch ins Grübeln kam.

Denn ist es nicht eigentlich der Nationalismus, der böse ist, bzw. der „Patriotismus“, wie er sich derzeit verschämt nennt, und nicht meine kosmopolitische Offenheit, meine Scheißegalhaltung gegenüber der Herkunft anderer Leute?

Schon frühere Weltmeisterschaften wollten mir gar nicht gefallen. 1990 ging diese z.B. mit dem deutsch-deutschen Einheitstrubel einher und auch 1994 waren weder Patriotismus noch Pogromstimmung völlig verebbt, so dass ich mich genötigt sah, ein T-Shirt mit der Aufschrift „Halt's Maul Deutschland“ zu tragen, um meinem Unmut über die allgemeine Deutschtümelei Ausdruck zu verleihen.

Die WM 2006 überraschte jedoch durch das Ausmaß des wieder einmal erwachten deutschen Patriotismus, der diesmal auch Kreise erfasste, bei denen mir vorher nicht klar war, dass diese so empfänglich dafür sind. Dass Burschenschaften bei solcher Gelegenheit gerne in Übergröße flaggen, ist nicht weiter verwunderlich, aber auch vermeintlich liberalere Menschen haben plötzlich dieses „Wir sind wieder wer“- bzw. „Wir sind Deutschland“- bzw. „Wir sind ein Volk wie andere Völker auch“-Gefühl und hängen ihr schwarzrotgoldenes Fähnchen in den Wind. Natürlich – erklärt man mir dann – ist dies doch alles nur Ausdruck sportlicher Begeisterung und man hege ja auch keine Abneigung gegen andere Menschen, sondern habe nur die Angehörigen der eigenen Nation ganz besonders dolle lieb. Schließlich kann man doch auch stolz sein auf dieses Land, wo man auch als Frau arbeiten und einen Minirock tragen darf, und dass die Umweltschutzgesetze hier so streng sind und dass man hier soviel Müll trennt, das ist doch auch toll. Und überhaupt will man sich irgendwo zugehörig fühlen, als hätte man keine Freunde und keine Familie und keine Nachbarn bzw. als würde das nicht reichen. Nein, es muss gleich mehr sein, viel mehr, die ganz großen, tiefen Gefühle, wenn auch völlig „unverkrampft“: die Liebe zu unserem Volk und zu unserer Geschichte – bis auf diese unseligen zwölf Jahre unter Hitler.

Auch die Sportfreunde Stiller, die so gerne die netten Jungs von nebenan sein möchten, lancierten rechtzeitig zur FIFA WM 2006® eine kleine, feine Fußballhymne auf dem Markt und zogen die Linie von 1954 über 1974 und 1990 zu 2006. In dem Videoclip grenzten sie sich dann aber vorsichtshalber mit einem „Nazis raus“-Transparent von den ungeliebten Fascho-Prolls ab. Und diese Prolls sind es ja auch, die auch den Linksliberalen und Alternativen nicht so geheuer sind: feiern ja, aber nicht so laut, trinken ja, aber nicht so viel, Patriotismus ja, aber nicht gleich den italienischen Pizza-Bäcker erschlagen, so wünscht man sich das. Dieses wieder entdeckte Nationalgefühl will eben auch gar nicht böse sein, sondern kuschelig, heimelig und irgendwie total nett.

Selbstverständlich bin ich mir bewusst, dass mir die vorstehenden Sätze angelastet werden können – man hat mir schließlich schon oft genug vorgeworfen, dass ich nicht volkstümlich genug sei: Ich solle die Freuden des kleines Mannes, den Fußball, doch mehr zu schätzen wissen (meist verdeutlicht durch die Worte: „Oder biste schwul, oder was?“) und auch Patriotismus sei doch eine gute Sache: „Oder sprichst du etwa kein Deutsch?“. Also komme ich nicht umhin, nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass mir Vaterlandsverrat stets Vergnügen und Verpflichtung ist. Das wirkliche Leben, abseits des Fußballtrubels und des Fahnenschwenkens, sieht nämlich ganz anders aus.

Schon im alten Rom stellte man die Massen mit Brot und Spielen ruhig – nur ist es heute so, dass die Spiele immer mehr werden, das Brot aber immer knapper gehalten wird. Und wenn ich die Wahl habe, möchte ich lieber Brot haben und, sagen wir mal und nur als Beispiel, eine anständige Krankenversicherung, dann kann ich auf die Spiele gut verzichten.

Das oben erwähnte T-Shirt trage ich übrigens nur noch als Nachthemd in meinem Bett, denn dieses ist im Gegensatz zum restlichen Deutschland immer noch eine alliierte Zone. Hier herrscht noch immer der Geist der Völkerverständigung und des Friedens. Und so soll es bleiben immerdar.

www.axel-klingenberg.de