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Der Nestbeschmutzer
Kategorie Der Nestbeschmutzer
Ausgabe SoSe06 - 1
Autor Axel Klingenberg

Der Nestbeschmutzer I - Dichter haben doch sowieso keine Ahnung

Ein schönes Unterfangen wartet da auf mich: Man hat mich gebeten, eine Kolumne zu verfassen für ein neues, aufstrebendes, innovatives, sexy Presseorgan. Das gefällt mir, denn endlich habe ich nun die Rechtfertigung dafür gefunden, meinen Mitmenschen schriftlich und ungestraft meine Meinung zu allerlei wichtigen und unwichtigen Themen kundtun zu dürfen: z.B. über den Weltfrieden, meine Lieblingsmahlzeit, das NDR-Fernsehprogramm, meine Kindheitstraumata, das Wetter, meine zehn Lieblingsplatten... Aber im Mittelpunkt meiner Betrachtungen wird natürlich das öffentliche Leben, Streben und Sterben in Braunschweig stehen, dieser Stadt, in der ich nun seit fast fünfzehn Jahren lebe und die ich nicht nur als Schüler, Student und Schriftsteller, sondern auch als Pizzabote und Gemüseausfahrer kennenlernen durfte. Und befinde ich mich damit nicht in bester Tradition und Gesellschaft? Haben nicht schon immer die hier hausenden Autoren ihre Meinung kundgetan über unsere geliebte Heimatstadt, unseren Staubfänger zwischen Harz und Heide? Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, ob hier überhaupt jemals berühmte Schriftsteller gelebt haben. Schnell mal recherchiert und tatsächlich ist hier mal der Dichter und Abdecker Gottfried Benn zu Besuch gewesen: »Nette alte Stadt« schreibt er und das sind auch schon die einzigen freundlichen Worte über Braunschweig, die von ihm überliefert sind, denn dann fährt er folgendermaßen fort in seinem Bericht: »Wilhelm Raabe (mir äußerst unsympathisch), Wilhelm Busch (auch nicht mein Schwarm), Ina Seidel sind die 3 literarischen Größen Braunschweigs. Ferner hat Eulenspiegel hier gelebt u. war Bäckergeselle. Er hat einen Brunnen da, ein Clown und Eulen u. Affen hören ihm zu. Sonst habe ich nichts gesehen. Alle diese in Norddeutschland gelegenen mittleren Städte sind mir widerlich, unangenehm. Mittelalterlicher Dreck überfallen von Fabriken und von modernen ›Anlagen‹, krankhaft, unanständig, zwitterig.« Nun, das wird ja wohl eine Einzelmeinung sein, die ich da lesen muss, denn auch andere bedeutende Persönlichkeiten haben Braunschweig besucht und sich sicherlich nicht nur ein paar Gebäude und einen Wasserbehälter angeguckt, sondern sich stattdessen den hier lebenden Menschen genähert, denn diese sind es doch, die eine Stadt liebenswert machen: »So gut die Frauen aussehen, so unheilbar häßlich sind die Männer. Barbarisch verzogene und meist gemeine Gesichtszüge.« Klingt nicht viel besser, ist aber doch schon etwas ausgewogener, denn immerhin beleidigt Stendhal nur ungefähr die Hälfte der Bevölkerung. Trotzdem bleibt ein schaler Beigeschmack, so richtig positiv ist das ja alles noch nicht. Aber das liegt wohl daran, dass diese beiden Eckensteher hier nur durchgereist sind, andere Schriftsteller haben hier länger gelebt und wissen Braunschweig deswegen sicher auch zu schätzen. Der schon erwähnte Wilhelm Raabe äußerte sich z.B. dahingehend, dass er in Stuttgart in wenigen Wochen mehr Schriftsteller kennengelernt habe als in Braunschweig in der ganzen (langjährigen) Zeit seines Aufenthalts... Okay, okay, das war ja auch noch nicht so toll, aber jetzt kommt's: »Ist recht schön«, na bitte, geht doch, Herr Raabe, »aber nur für jemand, dem es nicht darauf ankommt, so mal für eine unbestimmte Zeit von Jahren vollständig aus der Welt herauszufallen.« Stop, stop, stop!!! Ist denn dieses Genöle wirklich nötig? Hat denn »unser lieber Wilhelm Raabe« dem Wurmfortsatz Braunschweigs, Wolfenbüttel meine ich damit, nicht 90 Prozent seines Ruhmes zu verdanken? War es nicht die »Chronik der Sperlingsgasse«, die ihn in die Literaturlexika Einzug finden ließ, ihn also unsterblich machte? Und wie dankte er es diesen beiden siamesischen Zwillingsstädten am Strande der Oker? Indem er sie diffamierte als »Bumsdorf« bzw. als »Nippenburg«! Andererseits: Gibt es tatsächlich eine Verpflichtung, sich freundlich zu äußern über seinen jeweiligen Wohnort? Denn schließlich muss man ja irgendwo unterkommen und da ist man ja wohl nicht dazu verpflichtet, alles toll finden, was einem so zugemutet wird. So will auch ich mich künftig in der Kunst der Nestbeschmutzung üben, denn nur über die Toten darf man ausschließlich Gutes reden – da Braunschweig jedoch eine lebende, wenn nicht gar lebendige Stadt ist, möchte ich mir durchaus das Recht herausnehmen, auch mal ein wenig herumzukritteln. Schließlich gibt es ja die restliche regionale Presse und die professionellen PR-Menschen, die in den Firmen und Ämtern ausschließlich damit beschäftigt sind, Braunschweig in den Himmel zu loben.


 

Axel Klingenberg

Axel Klingenberg lebt als Literaturdienstleister in Braunschweig. Er ist Dozent für Kreatives Schreiben, Co-Herausgeber des Buchmagazins »The Punchliner« und Vorleser in der »Bumsdorfer Gerüchteküche«. Aktuelle Veröffentlichung: »Das Schwert des Xanq«, Hörbuch im Verlag Andreas Reiffer

www.axel-klingenberg.de