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Der Nestbeschmutzer
Kategorie Der Nestbeschmutzer
Ausgabe WS0708 - 7
Autor Axel Klingenberg

Der Nestbeschmutzer VII - Maskenball auf Schloss Potemkin

„Im Grunde ihres Herzens sind die Braunschweiger Monarchisten“, verlautete es am Anfang der Debatte über die Errichtung einer Schloss­attrappe aus dem Kreis der Befürworter dieses Bauvorhabens. Diese Behauptung ist zwar ausgemachter Blödsinn, sie zeigt aber, dass sich die neuen Schlossherren durchaus über die Bedeutung dieser Maßnahme im Klaren sind, die nämlich weit über die Errichtung eines Einkaufscenters hinausgeht. Im Gegensatz übrigens zu vielen ihrer Gegner, die vor allem lokalpatriotische Gründe anzuführen wissen, die gegen das ECE-Center sprechen – dass die lokale Wirtschaft geschädigt werde und die Innenstadt veröde, sind stets die Hauptargumente.

Nun, es wird sich zeigen, wie sich die „Schloss-Arkaden“ ökonomisch auswirken werden, eines ist jedoch sicher – das Stadtbild hat sich grundlegend geändert. Es ist nun geprägt von einem Prunk- und Protzbau, wie er peinlicher kaum sein könnte. Das „Schloss“ ist eben Ausdruck dessen, was Korpsstudenten und andere Prahlhänse für Stil und Geschmack halten.

Durch die Schlossfassade wird eine Vergangenheit beschworen, die es nie gab – vor allem nicht in den Arbeiterquartieren des Herzogtums Braunschweig. Ausgeblendet wird bei dieser Gelegenheit auch die Demütigung und Erniedrigung der Dienstbotenschaft – da wo es Herrschaften gibt, gibt es nämlich auch immer deren Lakaien. Der Reichtum des Schlosses war schließlich nur auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung zu haben.

Der abgehalfterte Adel, der nichts weiter vorzuweisen hat als Abstammung und Erbschaft, treibt sich auch heute wieder im Schloss herum – er ist damals wie jetzt so nützlich wie ein Kropf. Dieser geschichtsvergessene Historismus, möchtegernmonarchistische Mummenschanz und klassizistische Klamauk ist letztlich die Manifestation eines konservativen Rollbacks – der Rückbezug auf historische Bauten ist Ausdruck eines Rückzugs auf überkommene Werte. Die Braunschweiger Bürgerschaft hat hiermit ihren geistigen Offenbarungseid unterschrieben – das Vorhänge-Schloss ist nichts weiter als die Manifestation ihres ästhetischen und intellektuellen Bankrotts. Großmannssucht und Angeberei haben über eine vernünftige Stadtplanung zugunsten der hier lebenden Menschen gesiegt. Dass gleichzeitig mit dem Schlossaufbau Gelder für die Flüchtlingshilfe, für das Frauenhaus sowie für die Arbeitslosen- und Schuldnerberatung gekürzt wurden, ist da wohl kein Zufall. Und muss man noch mal darauf hinweisen, dass durch Reiterdenkmalssockelgießerei und Goldrand-Innenausbau Gelder verschwendet werden, die bspw. dringend in Schulen, Kindergärten und Kulturzentren benötigt werden?

Es geht eben nicht allein um ein bisschen Stuckgedümsel in der Innenstadt, sondern auch darum, dass hier ein Symbol des Feudalismus wieder vorzeigbar gemacht wurde (und das vollkommen jenseits eines sinnvollen Denkmalschutzes). Die Nazis z.B. waren sich der Bedeutung des Stadtschlosses durchaus bewusst – sie brachten dort eine SS-Junkerschule unter, um ihren Nachwuchs-Aristokraten das Herrschen beizubringen. Der Abriss der Schlossruine kann in diesem Sinne durchaus als eine antifaschistische Tat angesehen werden.

Kaum Trost spendend ist es, dass Braunschweig nicht alleine dasteht. Der Provinzialismus hat auch in den Metropolen Einzug gehalten, denn auch in Potsdam und Berlin sind derartige neuschwansteinartige Neubauten geplant. Heimattümelei, Hurrapatriotismus und andere Identitätshuberei sind derzeit eben megahip. Hip Hip Hurra!

Es bleibt zu hoffen, dass sich zumindest einige Menschen noch daran erinnern, wie das damals wirklich war, in der guten alten Zeit. Die Herzöge von Braunschweig residierten nämlich überwiegend im Nachbarnest Wolfenbüttel. Und mehr als einmal – zuletzt im November 1918 – zwang man sie zu Flucht und Abdankung. Gar keine schlechte Idee eigentlich.

Axel Klingenberg