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Kategorie Aus den Fakultäten
Ausgabe SoSe07 - 6
Autor Martin Haim

An der Grenze zu Hartz IV?

Eine Untersuchung über die Lebenslagen der Braunschweiger Studierenden

„Studentische Lebenslagen an der TU Braunschweig – Lebenslagen auf dem Grenzniveau“ lautet der Titel einer aktuellen Studie des Instituts für Sozialwissenschaften. Ein Goldrausch wird dort nicht gerade beschrieben: Viele Studierende wären ohne finanzielle Hilfe wohl kaum existenzfähig. Woher dieses Geld kommt, also von Mama, Vater Staat oder dem Job als Kellnerin, ist nur eine der interessanten Fragen, denen in der Studie nachgegangen wird.

Über 500 Braunschweiger Studierende von HBK und TU wurden befragt. Begleitet wurde die Studie von einem Seminar, dessen Teilnehmer versuchten, ein nicht nur auf wirtschaftliche Daten fixiertes, sondern mehrdimensionales Bild von Studierenden zu erhalten. Stets lautete die Frage im Hintergrund: Leben Studierende in Armut?

Die Autoren Adrian Gunkel und Ingrid Krieger betonen, die Studenten aus ihrem Seminar verfügten über einen Expertenblick, der für die Studie von großem Nutzen gewesen sei. Leider werden die Lebenslagen von ausländischen Studierenden oder solchen mit Migrationshintergrund nicht erfasst. Das sei von Nachteil, geben die Autoren zu, denn diese Gruppe ist
nach den persönlichen Erfahrungen der Sozialwissenschaftler besonders von Armut bedroht.

Ernüchternd wird die Studie, wenn simple Rechnungen zu Durchschnittsmiete und -einkommen von Studierenden ergeben, dass sich ein Braunschweiger Normalstudent mit weniger Geld begnügen muss, als ihm laut ALG II zustände. 35 Prozent zahlen ihr Studium aus eigener Tasche. Nur 14,5 Prozent erhalten Unterstützung vom Bafög-Amt, der Großteil (44 Prozent) wird von der Familie finanziert. Manager der Deutschen Bank frohlockten bereits über mögliche Zugewinne, denn rund 11,7 Prozent der Befragten planen, einen Kredit aufzunehmen, um die Studiengebühren zahlen zu können. Die Familie empfinden 82 Prozent als wichtigen Rückhalt, nicht nur finanziell. Studierende aus „gutem“ Haus haben bessere Voraussetzungen, die Widrigkeiten des Studiums zu überstehen. Es scheint so, als wäre die Familie noch die Basiseinheit der Gesellschaft – auf sie können die Lasten von privatisiertem Lebensrisiko und zumindest wirtschaftlich „liberalisiertem“ Studium abgewälzt werden. Außer der Familie sind es die Nebenjobs, die häufig genutzt werden, um das Studi-Leben möglich zu machen. Als durchschnittlichen Nettolohn verfügt der Student in Braunschweig über etwa 300 bis 500 Euro, rund 24 Prozent der Studierenden müssen sich mit Arbeit über Wasser halten, 16 Prozent verdienen sogar weniger als 300 Euro.

Im Sozialen sieht es besser aus. Hier erklärten 80 Prozent der Befragten, sich nicht einsam zu fühlen, und 68 Prozent gaben an, nach Studienbeginn schnell Anschluss gefunden zu haben. Über 30 Prozent der angehenden Akademiker sind in Vereinen aktiv. Studentische Gremien scheinen jedoch weniger beliebt: Hier engagieren sich lediglich 4,7 Prozent der Studierenden.
Soziale Beschäftigungen wie Freunde treffen, Sport und Partys sind ein wichtiger Teil der Freizeitgestaltung. Vermieter kommen in dieser Studie trotz Kakerlaken und Ratten gut weg: 83 Prozent der Kommilitonen sind mit ihrer Wohnsituation zufrieden – easy living in Niedersachsens Ostmetropole?

Beachtenswert ist, dass die Studie vor der ersten Erhebung von Studiengebühren stattfand. Um deren Folgen in den Blick nehmen zu können, wäre eine Anschlussstudie sinnvoll. Gunkel: „Vermutlich wäre dies auch wichtig, um unsere These zu untermauern, dass vor allem durch die Einführung der Studiengebühren die Bildungspolitik in diesem Land auf dem Rücken sozial Schwacher und Studierender aus bildungsfernen Schichten ausgetragen wird.“

Durchaus brisanter Stoff also. Studien„beiträge“, unbezahlte Praktika und „flexible“ Minijobs sind nur einige der bekannten Schlagworte. Aber wie antwortet die Öffentlichkeit auf diese Erkenntnisse? „Reaktionen auf unsere Studie gab es merkwürdigerweise vor allem im Zusammenhang mit den beiden nicht sonderlich gut recherchierten Artikeln in der Braunschweiger Zeitung“, sagt Gunkel. Und wie reagierte Hannover? „Die Studie wurde mit einem Begleitschreiben den bildungspolitischen Sprechern der Parteien im niedersächsischen Landtag zugeschickt. Meines Wissens gab es da leider keine Rückmeldungen.“

Als Fazit halten die Autoren fest, dass sich unsere sozial aktiven Studis zwar über Unterstützung durch Familie und/oder Bafög freuen dürfen – ihre ökonomische Situation aber ist oft mit dem Arbeitslosengeld II vergleichbar oder liegt sogar darunter.

Nun würden die Forscher gern wissen, was nach dem Studium kommt. Autor Gunkel: „Interesse an Folgeuntersuchungen ist geäußert worden, eine Umsetzung ist allerdings meines Wissens nicht in Sicht.“ Wir bleiben gespannt, auf Reaktionen, Folgen und eventuelle Nachfolgeprojekte.