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Kategorie Politik
Ausgabe SoSe07 - 5
Autor Johannes Gütschow

Neue Kürzungen an der TU? - Über das Projekt "Niedersächsische Technische Hochschule"

„Die Physik wird dicht gemacht“, hieß es Anfang Februar mal wieder. An sich ist das Gerücht nichts Neues und taucht alle paar Semester wieder auf, versetzt die Studierenden in Unruhe, die von einigen Lehrenden fleißig beschwichtigt wird. Eine Debatte über die Zukunft der Physik könnte ja Studieninteressierte abschrecken. Also wird das Problem ignoriert - seine Ursachen bleiben. Nicht zuletzt deshalb ist es diesmal ernster.

Am Mittwoch, dem 13. Februar, verkündete Prof. Hesselbach, Präsident der TU Braunschweig, im Senat, das Präsidium habe am Dienstag in einer Sondersitzung einen „Fächerabgleich“ mit der Uni Hannover in der Physik und dem Bauingenieurwesen beschlossen. Die Physik solle nach Hannover gehen und das Bauingenieuwesen nach Braunschweig kommen.

Hintergrund der Umstrukturierungen ist die NTH – Niedersächsische Technische Hochschule –, ein Projekt, dessen Umsetzung sich Wissenschaftsministers Stratmann gern auf die Fahnen schreiben möchte. „Die Assoziation zur ETH – zur Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich – als einer der weltweit führenden Technischen Hochschulen ist bekannt und gewollt und definiert die Messlatte in der internationalen Konkurrenz“, erklärte Stratmann in seiner Regierungserklärung zur Novelle des Hochschulgesetztes Anfang November 2006. Wenn der Name nach Exzellenz klingt, folgt sie auf dem Fuße, scheint er zu glauben. Kam eine Studie der TU BS noch vor zwei Jahren zu dem Ergebnis, dass sie nur regional bekannt ist, soll die NTH Braunschweig bald in einem Atemzug mit der ETH Zürich genannt werden. In der Exzellenzinitiative des Bundes auf ganzer Länge gescheitert, soll jetzt eine andere Lösung her, um im Wettbewerb der entfesselten Hochschulen zu bestehen. In der NTH sollen die technisch ausgerichteten Unis Niedersachsens, die Uni Hannover, die TU Clausthal und die TU Braunschweig zusammengefasst werden. Die Unis sollen dabei eigenständig bleiben, nur die technischen und naturwissenschaftlichen Fächer werden „abgeglichen“. Fächerschwerpunkte an einzelnen Hochschulen sollen aus- bzw. abgebaut werden, auch die Einrichtung von hochschulübergreifenden Fakultäten, beispielsweise der NTH-Fakultät für Maschinenbau, wäre möglich.

Der Vorläufer der NTH: das Consortium Technicum

Die Idee der stärkeren Kooperation ist nicht neu. Seit 2000 gibt es das „Consortium Technicum“ (CT), eine Kooperation der drei zukünftigen NTH-Unis. Im Rahmen des CT sollen die Aktivitäten in Forschung und Lehre untereinander abgestimmt werden, um gegenseitige Konkurrenz zu vermeiden, sich zu ergänzen. Von den gesteckten Zielen, zu denen auch der Austausch von Lehrangeboten und gemeinsame Studienangebote gehören, wurde bis jetzt hauptsächlich die Abstimmung bei der Besetzung von Professuren umgesetzt. Mittlerweile wird in Braunschweig kein Professor in ingeneurwissenschaftlichen Fächern berufen, ohne dass Hannover und Clausthal zugestimmt haben – andersherum gilt natürlich das Gleiche. Die Verlagerung von Studienangeboten wird seit Jahren diskutiert, bis jetzt gab es aber nie eine Einigung.

Auch die Idee der NTH gibt es nicht erst seit Stratmanns Regierungserklärung - sie wurde nicht einmal von ihm erdacht. Nach eigenem Bekunden stammt die Idee von Prof. Hesselbach und wurde vor einem Jahr auf einem Workshop über die Zukunft der Ingenieur- und Naturwissenschaften in Loccum geboren. Damals gab es aber noch keine konkreten Inhalte, es blieb bei der Idee. Dass die NTH jetzt wieder auftaucht, hat mehrere Gründe: Stratmann hat in der Hochschullandschaft nur umstrittene Projekte vorzuweisen. Das Hochschuloptimierungskonzept (HOK) kostete die Hochschulen 50 Millionen Euro im jährlichen Haushalt, Studiengebühren sind nicht gerade allgemein beliebt, und der „Zukunftsvertrag“ enthält neue Kürzungen. Vor der Landtagswahl im Januar 2008 muss also noch ein unverfängliches Prestigeprojekt her. Daneben kritisiert der Landesrechnungshof in einem Bericht die geringe Auslastung vieler Studiengänge als Verschwendung von Ressourcen und fordert beispielsweise die Schließung der Physik in Braunschweig und Clausthal. Der dritte Grund ist das katastrophale Abschneiden bei der Exzellenzinitiative. Die TU Braunschweig und die TU Clausthal gingen völlig leer aus – am weitesten kam an der TU noch die Graduiertenschule für Metrologie, mit starker Beteiligung der Physik.

Das NTH-Konzept – noch nicht viel Konkretes

Jetzt geht es deshalb Schlag auf Schlag. Schon etwa zwei Monate, nachdem die NTH durch den Beschluss der TU wieder in die Presse kam, wurde das Konzept öffentlich vorgestellt. Ausgearbeitet wurde es von den Präsidenten der Hochschulen. Detaillierte Pläne über Schließung und Aufstockung von Fächern sind in dem Programm nicht zu finden. Es geht erst einmal nur darum festzulegen, welche Fächer in den Rahmen der NTH fallen. Das sind bisher Chemie, Biologie, Physik, Geowissenschaften, Energiewissenschaften, Elektrotechnik, Bauingenieuwesen, Architektur und Informatik. Gefordert wird von den Hochschulpräsidenten vor allem eine Verbesserung in Forschung und Lehre, sowie eine gemeinsame Struktur für die NTH. Mit neuen Kürzungen darf die Bildung der NTH für sie aber nicht verbunden sein. Die Umsetzung der NTH-Pläne wird viele Jahre dauern, eine erste Evaluation der Ergebnisse soll nach etwa fünf Jahren aufdecken, ob der Prozess Erfolg hatte und weitergeführt wird.

Erwartungen für die TU BS

Konkret ist die NTH in Braunschweig vor allem für die Physik wichtig. Sah es vor zwei Monaten noch so aus, als würde das Studienangebot auf Dauer ganz eingestellt, stellt sich die Situation jetzt schon ganz anders dar. Diesmal ist die drohende Schließung bis in die Köpfe jener vorgedrungen, die vorher völlig von der Realität emanzipiert schienen. Eine Vollversammlung aller Statusgruppen wurde abgehalten, ein Arbeitskreis zur Rettung der Physik gegründet und gemeinsam mit dem neuen Fakultätspartner, der Elektrotechnik ein Zukunftskonzept ergearbeitet. Auch in Bezug auf die Studierenden hat sich bereits etwas getan, es muss aber noch mehr folgen. Bei einer niedrigen Auslastung muss die Betreuung um so besser sein. Denn wenn die Studierenden wegblieben, wäre das Ende nahe, der größte Kritikpunkt ist ja gerade die schlechte Auslastung. Neuen und alten Studierenden soll ein Masterstudiengang angeboten werden, allerdings spezialisiert. Die Geo- und Astrophysik ist hier wohl gesetzt: bei den Studierenden beliebt, in der Forschung renommiert und drittmittelstark – Hesselbach wird viel daran setzen sie in Braunschweig zu halten. Als weitere Spezialisierung wird im Zukunftskonzept der Physik „Physik für Metrologie, Verkehrs- und Informationstechnik“ angegeben. Ein Name, der noch mit Inhalt zu füllen ist und ein starkes Entgegenkommen gegenüber den Wünschen des Präsidiums andeutet. Auch einen Bachelorstudiengang wird es wahrscheinlich weiter geben, ohne ihn hat ein Master kaum Sinn. Obwohl alle Maßnahmen nur mittel- bis langfristig möglich sind, da niemand zwangsversetzt werden soll, sollte man die Hände nicht in den Schoß legen, denn eine unsichere Zukunft könnte gerade die guten Professoren dazu bewegen, Angebote anderer Hochschulen oder Forschungsinsitute anzunehmen.

Neben der Physik sind auch die Architektur und besonders die Elektrotechnik gefährdet. Eine Auslastung von 50% an der TU und 65% an der Uni Hannover prädestiniert sie für NTH-Maßnahmen. Im Maschinenbau werden schon länger die einzelnen Bereiche umstrukturiert. Beispielsweise wandert die Energietechnik nach Goslar und in Braunschweig wird ein Fahrzeugtechnisches Zentrum neu errichtet. Was die Stärkung des Bauingenieurwesens konkret bedeutet, ist noch unklar. Es bleibt zu hoffen, dass eine größere Auslastung nicht der guten Betreuung schadet.

Verbesserung der Lehre nicht in Sicht

Die gesamte Diskussion um die NTH richtet sich momentan an der Forschung und an finanziellen Gesichtspunkten aus. Die Lehre ist bloßes Anhängsel. Die Physik ist zu teuer. Im Bauingenieurwesen soll Braunschweig die „Nummer 1 in Deutschland“ (Hesselbach) werden. Drastische Maßnahmen wie die Einstellung ganzer Studiengänge sind im Kernbereich jedoch nicht zu erwarten. Es wird sicher nirgendwo der Maschinenbau geschlossen. Schließungen wird es aber bei bestimmten Spezialisierungen geben. Wird zur Zeit vieles in Hannover und Braunschweig gleichzeitig angeboten, so wird sich das in den nächsten Jahren ändern. Für eine Spezialisierungsrichtung muss man schon jetzt oft die Uni wechseln; der Schnitt zwischen Bachelor und Master bietet sich als Zeitpunkt an. Innerhalb der Fächer nimmt das Angebot ab, innerhalb der Spezialisierungen könnte es zunehmen. Eine Chance wäre, bei aneinander angepassten Studienordnungen, Vorlesungen problemlos an anderen NTH-Hochschulen hören zu können. So ständen die Lehrenden im Wettbewerb und die Lehre würde sich verbessern, ist die Hoffnung der Präsidenten. Die Austauschbarkeit von Vorlesungen birgt aber auch ein Risiko: Schon heute ist es in Clausthal gängige Praxis, kleinere Vorlesungen nicht selbst anzubieten, sondern sie in einem speziellen Hörsaal von anderen Hochschulen zu übertragen. Pendeln zwischen den Standorten könnte zur einzigen Alternative zu zweidimensionale Professoren an der Wand werden. Im Wettbewerb könnten sich auch gute Noten bei den Studierenden als beliebter erweisen, als gute Lehre – keine wünschenswerte Entwicklung.

Die nächste Kürzungsrunde?

Einsparungen soll es nicht geben, wird immer betont. Doch nicht nur ein Blick auf die vergangenen Maßnahmen der Landesregierung lässt daran zweifeln. Der Landesrechnungshof hat gefordert zu sparen, nicht zu verlagern. Es wird viel von der Verbesserung der Auslastung geredet, nicht aber von der Erhöhung der Studierendenzahlen. Also müssen Studienplätze abgebaut werden, um die Auslastung zu erhöhen. Durch eine neue Lehrverpflichtungsverordnung (LVVO) wurde im April die Lehrverpflichtung wissenschaftlicher Mitarbeiter vergrößert. Das schafft bei gleicher personeller Ausstattung automatisch zusätzliche Studienplätze und stellt somit de facto eine Kürzung der Mittel pro Studierendem dar. So setzt Niedersachsen die (vom Bund mitfinanzierten) Verpflichtungen aus dem Hochschulpakt 2020 um – auf Kosten von Lehre und Forschung. Auch für die durch schlechte Auslastung gefährdeten Studiengänge ist die neue LVVO fatal, ihre Auslastung sinkt, und liefert weitere Argumente für Kürzungen.

Die NTH dient der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit: Mehr Drittmittel sollen eingeworben werden. Eine tolle Forschung macht aber noch keine gute Lehre. Das Angebot an den einzelnen Unis wird fokussiert, also kleiner, das Studium spezialisierter. Sicherlich wird es auch Verbesserungen geben, aber womit man sie erkauft, ist unklar. Sollte pendeln zur Pflicht werden, was Stratmann schon vorgeschlagen hat und an der fusionierten Uni Duisburg-Essen Realität ist, müssten Studierende ihre Freizeit in Zügen verbringen. Maxime bei der Bildung der NTH sind ökonomische Prinzipien: Wettbewerb und Effizienz. Kürzungen im Gesamtetat sind absehbar. Wettbewerb hat Gewinner und Verlierer – bei der NTH scheint es als würden die Studierenden und die Breite des Studienangebots die Verlierer sein.

Johannes Gütschow