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Kategorie Politik
Ausgabe SoSe07 - 5
Autor Johannes Gütschow

Generation Praktikum - Problem oder Panikmache?

Vor zwei Jahren schrieb die „Zeit“ unter dem Titel „Generation Praktikum“ über den Trend zu immer mehr und längeren Praktika vor dem Berufseinstieg. Seitdem wurde der Begriff viel diskutiert und sogar Gegenstand zweier Petitionen an den Bundestag. Zusammen haben die beiden Petitionen über 100.000 Unterschriften sammeln können, genug für eine öffentliche Anhörung. In der zweiten, weitergehenden, Petition fordern DGB-Jugend und der Verein Fairwork e.V., der sich um die Rechte von PraktikantInnen kümmert, eine Abgrenzung von Praktika zu regulären Beschäftigungsverhältnissen, um keine regulären Arbeitsplätze zu ersetzen. Zusätzlich müssten Praktika, die nicht im „Rahmen von schulischer und wissenschaftlicher Ausbildung oder staatlichen Programmen“ ablaufen, auf drei Monate begrenzt werden. Für Berufseinstiegsprogramme wie das Voluntariat sollte ein Mindestlohn von 7,50 € gezahlt werden, falls es keine tarifliche Regelung gibt. Außerdem sollte das Praktikum gesetzlich als Lernverhältnis mit Ausbildungsplan und Betreuer festgeschrieben werden.

Pünktlich zur öffentlichen Anhörung Ende März veröffentlichte die DGB-Jugend im Februar die Ergebnisse einer Studie über den Berufseinsteig von Absolventen und Absolventinnen der Uni Köln und der FU Berlin. 44% der Absolventinnen und 23% der Absolventen absolvieren demnach mindestens ein Praktikum nach Ende ihres Studiums. Besonders häufig sind Praktika in den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften. In den letzten Jahren ist die Zahl der Praktika deutlich angestiegen. Fast die Hälfte der Praktika war unbezahlt, die durchschnittliche Entlohnung der bezahlten Praktika mit 543€ bei Frauen und 741€ bei Männern nicht genug um den Lebensunterhalt zu gewährleisten. Der Großteil der Befragten sieht die Praktika positiv, nur etwa ein Viertel fühlt sich ausgebeutet, über ein Drittel kommt über eines der Praktika an einen Job. Trotzdem entstehen mehrere Jahre lange Phasen prekärer Beschäftigung, die jedoch, vermutlich aufgrund der wesentlich schlechteren Situation in anderen Berufsfeldern, relativ gelassen hingenommen werden.

Mit der Studie als Rüstzeug ging es in die öffentliche Anhörung vor dem Petitionsausschuss des Bundestages. Die Petenten durften ihr Anliegen noch einmal ausführlich schildern. Die Mitglieder des Ausschusses sowie andere interessierte Abgeordnete konnten die Petenten und Vertreter der Ministerien für Arbeit und Soziales sowie Bildung und Forschung (BMBF) mit Fragen löchern. Schon in den ersten Stellungnahmen lehnten die Staatssekretäre der Ministerien eine gesetzliche Regelung ab. Praktika in der Ausbildung müssten nicht bezahlt werden, bei Praktika, die kein Ausbildungsverhältnis seien, läge ein Verstoß gegen das Berufsbildungsgesetz vor. Die Praktikanten und Praktikantinnen könnten im Nachhinein eine Bezahlung einklagen – neue Regelungen würden die Gefahr der Überregulierung bergen oder gar einen geschützten Niedriglohnsektor schaffen, denn von den 300€ könne man ja nicht leben. Eine geschickte Verdrehung der Forderungen, denn die 300€ werden nur für Praktika in der Ausbildung oder bei einer Beschäftigung unter drei Monaten gefordert. Längere Praktika nach dem Hochschulabschluss gelten als Berufseinstiegsprogramm und sollen mit 7,50€ pro Stunde entlohnt werden. Kritische Nachfragen aus der Opposition (dass die nicht von der FDP kamen, kann man sich denken) ergaben dann auch, dass die Ministerien grundsätzlich keine Entlohnung an Praktikanten zahlen – mit gutem Vorbild voran sieht anders aus. Statt gesetzlichen Regelungen sollten Gütesiegel für Firmen her, wie beispielsweise das „Fair Company“ Siegel des Handelsblattes – für das Müntefering die Schirmherrschaft übernommen hat, ohne zu kontrollieren, ob die Selbstverpflichtung eingehalten wird. Wer in die Unternehmensbewertungen von „Students at Work“, einer Initiative des DGB, nachsieht, findet dort auch gleich einige „Fair Companys“ unter den schwarzen Schafen. Für Kopfschütteln sorgte auch der BMBF-Staatssekretär. Der erklärte die Zunahme von Praktika damit, dass nach den neuen Bachelor/Master Studiengängen Praktika sinnvoll seien, da die Ausbildung durch den Abschluss noch nicht ausreichend sei. Herr Staatssekretär, da haben sie mit ihrem „berufsqualifizierenden“ Bachelor wohl Mist gebaut! Zu einem echten Ergebnis führte die Anhörung nicht. Auf Seiten der Ministerien wurde betont viel Verständnis für das Problem gezeigt, genauso betont aber jede Regelung abgelehnt und auf „Aufklärungsarbeit“ und Selbstverpflichtungen verwiesen. Was mit derartigen Selbstverpflichtungen zu erreichen ist, haben die ernüchternden Resultate der CO2-Emissionsreduktion der Autoindustrie gezeigt.

Die DGB-Studie wurde als nicht repräsentativ kritisiert. Stattdessen wurde auf eine Studie des Hochschulinformationssystems (HIS) verwiesen, die erst im April erscheinen sollte, deren Ergebnisse den Ministerien aber offensichtlich schon bekannt waren. Interessant war die Anhörung trotzdem, denn es gab einige überlegenswerte Ansätze und kritische Nachfragen. Die Vertreter der Ministerien machten allgemein keine gute Figur. Ihre Äußerungen zur Selbstverpflichtung bieten Ansätze, verbindliche Regelungen einzuführen, beispielsweise zuerst in staatlichen Einrichtungen.

Die HIS-Studie erschien tatsächlich im April und zog das Fazit, dass der Begriff „Generation Praktikum“ nicht gerechtfertigt sei. Nur etwa elf Prozent sei die Praktikantenquote bei den Männern, 16 Prozent bei den Frauen. Die "Zeit" konstatierte sofort, Praktika seien „mehr Chance als Schicksal“, die Studie „korrigiere das Bild von der Generation Praktikum“. Tatsächlich kommt die Studie aber zu ähnlichen Ergebnissen wie die des DGB. Der große Unterschied bei der Praktikantenquote liegt unter anderem darin begründet, dass die Uni Köln und die FU Berlin überproportional viele Studierende in den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften haben, Ingenieurswissenschaften gibt es jeweils gar nicht. Da aber gerade in den Ingenieurswissenschaften nur wenige Studierende Praktika nach dem Abschluss absolvieren (abgesehen von Architektur und Bauingenieurwesen), sind die Zahlen der DGB-Studie notwendig höher.

Zu kritisieren an der HIS-Studie ist die kurze Zeit, die vom Abschluss bis zur Befragung verging. Die Absolventen des Wintersemester 04/05 und des Sommersemesters 05 wurden 2006 befragt, maximal also eineinhalb Jahre nach ihrem Abschluss. Viele AbsolventInnen sind aber zuerst in befristeten unsicheren Arbeitsverhältnissen angestellt und müssen eventuell nach einer ersten Phase der Arbeit noch ein Praktikum absolvieren. Diese Fälle tauchen in der HIS-Studie als angestellt auf, während die DGB-Studie, die bis zu dreieinhalb Jahre betrachtet, sie als PraktikantInnen zählt.

Unabhängig davon, ob es sich real um 13 oder 30 Prozent handelt, sind das nicht wenige. Sie werden nicht nur schlecht bezahlt, sind damit von anderer Arbeit oder ihren Eltern abhängig, können an die Gründung einer eigenen Familie gar nicht denken und auch sonst nicht weit planen, sondern ersetzen auch noch reguläre Beschäftigungsverhältnisse. Selbst wenn von den 600.000 PraktikantInnen nur 10% reguläre Jobs ersetzen, wären das 60.000 Arbeitsplätze – definitiv keine zu vernachlässigende Zahl. Wenn Arbeitgebervertreter angesichts der HIS-Studie erfreut feststellen, dass es keine Generation Praktikum gebe, gleichzeitig aber eine neue gesetzliche Regelung kategorisch ablehnen, sollte das zu denken geben. Wenn niemand ausgenutzt würde, wieso dann kein Gesetz dagegen?

Auch unter der Perspektive der Gleichstellung geben die Ergebnisse der Studie zu denken. Frauen sind - unabhängig vom Studienfach - sehr viel stärker betroffen als Männer. Geistes- und Sozialwissenschaften sind stärker betroffen als Ingenieurs- und Naturwissenschaften. Unternehmen nutzen durch unbezahlte Praktika gezielt diejenigen aus, die es auf dem Arbeitsmarkt schwerer haben.

In dieses Schema passt auch die hohe Praktikumsquote bei Architekten. Wer in der Architektur etwas werden will, muss erst Praktika in renommierten Büros absolviert haben – unbezahlt versteht sich. In der Anhörung kam dann auch prompt das Beispiel des ehemaligen Braunschweiger Professors Gerkan, bei dem ein Praktikum sicherlich der Karriere förderlich wäre. Trotzdem bleibt es Ausbeutung, wenn jemand, der Millionen verdient und gerade eine Stadt für 800.000 Menschen in China baut, PraktikantInnen umsonst arbeiten lässt. Könnte man bei den Architekten noch damit argumentieren, dass sie führ spätere Verdienstmöglichkeiten unbezahlte Praktika in Kauf nehmen müssten, ist das bei Sozialwissenschaftlern schon schwieriger, und bei der Tatsache, dass Frauen öfter Praktika machen müssen als Männer völlig widersinnig, denn Frauen verdienen nicht allein im Praktikum noch immer sehr viel weniger als Männer. Hier wird einfach ausgenutzt, dass sie aufgrund einer möglichen Schwangerschaft schlechtere Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt haben..

Nur wenige der Praktikanten versuchen nachträglich eine Vergütung einzuklagen, was sowohl bei als Praktika getarnten regulären Arbeitsverhältnissen, als auch bei regulären Praktika möglich wäre. Das liegt vermutlich zum einen an der hohen Hürde, ein Verfahren anzustrengen, zum anderen an der Situation der Praktikanten. Wer aus Verzweiflung schon unbezahlt arbeitet, wird es nicht wagen, sich in der Branche noch einen einschlägigen Ruf durch das Verklagen von Arbeitgebern zu verschaffen.

Aufklärungsarbeit allein reicht also nicht. Eine Selbstverpflichtung von Unternehmen auch nicht. Sie betrifft lediglich große Unternehmen, und die halten sich nicht einmal daran. Unternehmen stehen im Wettbewerb zueinander. Wenn eine Firma in einer Branche Praktikanten umsonst arbeiten lässt und so einen kleinen Extraprofit erwirtschaftet und Leistungen billiger anbieten kann, müssen die anderen nachziehen. so funktioniert Marktwirtschaft. Auch in die Theorie, dass Dauerpraktikanten ein Fiasko für Firmen seien - geäußert von dem Saarbrücker BWL Professor Christian Scholz - sollte man besser keine Hoffnung setzen. Sie argumentiert mit langfristigen Effekten, die für Unternehmen im Konkurrenzkampf nicht unbedingt im Vordergrund stehen.

Eine klare gesetzliche Regelung könnte hingegen Abhilfe schaffen. Klar müsste sie sein, nicht nur für die Praktikanten, sondern auch für die Arbeitgeber, denn Angst vor Strafen aufgrund unklarer Rechtslage könnte die davon abhalten, PraktikantInnen einzustellen – auch wenn es sich wirklich um Lernverhältnisse handelt. Der Vorschlag von Fairwork e.V. und DGB-Jugend ist mit Sicherheit nicht perfekt, aber schon ein Schritt in diese Richtung.

Die Umsetzung scheint vorerst unwahrscheinlich, zumindest direkt über ein Gesetz. Der Beschluss des Petitionsausschusses ist noch nicht bekannt, läuft mit großer Wahrscheinlichkeit aber auf eine Ablehnung hinaus. Es wird wohl lediglich auf eine Diskussion in den Ministerien hinauslaufen.

Selbstverpflichtungen öffentlicher Arbeitgeber und Parteien könnten die Politik aber unter Druck setzen. Die Bundestagsfraktionen „Die Linke“ und „Bündnis 90 / Die Grünen“ haben bereits Selbstverpflichtungen abgeschlossen. Sowohl Herr Müntefering als auch Frau Schawan betonen gerne, dass die Sorgen der PraktikantInnen ernst genommen werden müssten; sie müssten also mit ihren Ministerien nachziehen. Wenn es im öffentlichen Raum eine Regelung gäbe, ständen die Gesetzgeber unter Zugzwang. Die „Generation Praktikum“ ist ein Problem. Die Diskussion darum ist noch lange nicht vorbei.

Johannes Gütschow

 

Weitere Infos zu dem Thema gibt es hier.