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Kategorie Studentische Initiativen
Ausgabe SoSe07 - 5
Autor Marc Chmielewski

Der Debattierclub „Satzbau“ der TU – Eine Kontroverse zwischen Marc Chmielewski und Johannes Kaufmann

"Ich verschwende keine Zeit auf Argumente", soll die Eiserne Lady Margaret Thatcher einmal gesagt haben. So einfach machen es sich die Mitglieder des Debattierclubs "Satzbau" nicht. Jeden Dienstag um 19 Uhr treffen sie sich im Seminarraum RR 58.3 am Rebenring und werfen ihre Argumente in den Ring. Über das Thema wird abgestimmt, dann werden die Teilnehmer per Los einem Team zugeteilt und erhalten sieben Minuten Redezeit. Disutiert wird nach den Regeln des englischen Unterhauses. Am Ende der gespielten Parlamentsdebatte beurteilt die Jury Rhetorik, Argumentation und Auftreten der einzelnen Teilnehmer sowie die Strategie der beiden Mannschaften. Die Mitglieder des von Nicolas Fidorra gegründeten Clubs nehmen an regionalen und bundesweiten Turnieren teil. Weitere Informationen auf der Homepage des Clubs: http://gruppen.tu-bs.de/debattierclub. Ist der Debattierclub empfehlenswert? Unsere Korrespondenten von der Rhetorikfront sind sich uneinig. Willkommen im BUZe-Debattierclub.

Marc: Debattierclubs an Universitäten sollten so obligatorisch sein wie Einführungstutorien oder die Fußballtruppe des Sportzentrums. Eigentlich ist es ein Skandal, dass dies nicht der Fall ist. Denn wie kann eine offene und pluralistische Gesellschaft ihre Abwehrkräfte gegen Fundamentalismus und Vorurteile besser stärken als mit Bürgern, die kritisch denken, argumentieren und Schlüsse ziehen können? Wird uns nicht berechtigterweise eingebleut, dass nicht die pure Anhäufung von Fachwissen das Ziel unserer akademischen Ausbildung ist, sondern die Fähigkeit zur Reflexion, zur Unterscheidung von Wichtigem und Unwichtigem, zum Streit um die besten Argumente? Was könnte eine bessere Arena sein als ein Debattierclub, um diese Fertigkeiten zu trainieren? Der Club ist ein Forum, in dem unter Zeitdruck Argumente ersonnen, abgewogen und systematisiert werden, um sie dann professionell zu präsentieren. Im Idealfall geschieht dies auch in Seminaren, aber dort fehlt oft das Unbefangene und Spontane. Dabei ist erwiesen, dass der Mensch im Spiel am besten lernt. Deshalb sage ich: Der Debattierclub "Satzbau" ist eine längst fällige Bereicherung für die TU.

Johannes: In seinem schmalen Büchlein "Eristische Dialektik oder: Die Kunst, Recht zu behalten" begründet Schopenhauer die Notwendigkeit jenes Büchleins mit der "natürlichen Schlechtigkeit des menschlichen Geschlechts. Wäre diese nicht, wären wir von Grund aus ehrlich, so würden wir bei jeder Debatte bloß darauf ausgehen die Wahrheit zu Tage zu fördern". In der Diskussion gehe es aber nicht um Wahrheit, schreibt Schopenhauer weiter, sondern um die Eitelkeit, Recht zu behalten, selbst wenn man im Unrecht ist. Diese Worte könnte sich der neu gegründete Debattierclub in seinen nicht vorhandenen Portalbogen meißeln lassen, beschreiben sie doch genau, was hier geübt werden soll. In der künstlich erzeugten Situation einer fingierten Parlamentsdebatte, in der jeder Teilnehmer einer der Seiten durch das Los (nicht durch die Überzeugung) zugeteilt wird, geht es nicht um die Beweiskraft des besseren Argumentes, nicht um den Austausch von Meinungen zu kontroversen Themen, sondern um die Selbstdarstellung, ums Recht-Behalten. Dabei ist alles erlaubt. Vor über einem Jahrzehnt erschütterte das Gerücht die Bundesliga, die Spieler des FC Bayern München übten im Training systematisch das Foulspielen. Mit dem Debattierclub „Satzbau“ gibt es nun einen Verein an unserer Uni, in dem das verbale Foul trainiert und am Ende sogar noch mit Applaus belohnt wird.

Marc: Was ist schlecht daran, Herr Kaufmann, sich selbst darstellen und Recht behalten zu können? Wäre es der von Ihnen so vehement eingeforderten Wahrheitsfindung nicht eher abträglich, wenn nicht alle Diskutanten mit guten Debattierfähigkeiten in den rhetorischen Ring stiegen? Stellen Sie sich einen Poesie-Wettbewerb vor, in dem ein Analphabet gegen einen versierten Verseschmieder antritt. Wäre das nicht furchtbar langweilig und niveaulos? Folgt man Ihrer Logik, hätte man nur dem Poeten die Schreiberei verbieten müssen, um gleiche Ausgangsbedingungen und einen fairen Wettstreit zu gewährleisten. Wäre es ein fruchtbarer Wettbewerb? Oder stellen Sie sich Ritter vor: Die Guten haben Waffen, die Bösen aber auch. Ihr Vorschlag würde wohl lauten: Schafft die Waffen ab und das Training am Schwert. Wer sich daran hält, verliert in Zukunft gegen den, der sich nicht an Ihre Forderung hält und trotzdem übt – ob nun Reden oder Schwerter schwingen. Wollen Sie mit Ihren guten Argumenten den Kürzeren ziehen gegen Ihren Kontrahenten mit den schlechteren? Weil der im Debattierclub geübt hat und Sie nicht? Also, gehen Sie doch lieber auch hin, statt sich die Nächte mit etwas so schwer Verdaulichem wie Schopenhauer um die Ohren zu schlagen.

Johannes: Ihr letzter Satz, Herr Chmielewski, unterstreicht eindrucksvoll, dass Sie die Lektion des Debattierclubs bereits gelernt haben. Warum sich mit dem "schwer Verdaulichen" des Inhalts beschäftigen, wenn es über Tricks und Kniffe der Polemik möglich ist, den Zuhörer zu seinen Gunsten zu manipulieren, ohne überhaupt ein echtes Argument zu liefern? Denn Sie verwenden den Kunstgriff, meine Aussage zu erweitern und dann ihre eigene Erweiterung als mein Argument anzugreifen – eine Methode, die sie übrigens ebenfalls bei Schopenhauer nachlesen können. Tatsächlich habe ich die Notwendigkeit eines Debattierclubs aber nicht in Frage gestellt. Wogegen ich mich sträube, ist ein Verein, der Studierenden Tricks wie die von Ihnen angewendeten beibringt, statt des Debattierens auf inhaltlicher Ebene. Statt sich in die Intrigen eines fiktiven Parlamentes zu verstricken, sollte das Vertreten des eigenen Standpunktes gelernt werden. Faktizität und logische Widerspruchsfreiheit, also die Stichhaltigkeit des Arguments, sollten in einer Diskussion im Mittelpunkt stehen und nicht der eloquente Angriff auf die Person. Um bei ihren Bildern zu bleiben: Ich will weder Analphabeten noch unbewaffnete Ritter. Ein gutes Argument ist eine viel schärfere Waffe als ein sophistischer Seitenhieb. Gegen den letzteren hilft der bereits zitierte Schopenhauer als verlässliches Rüstzeug.

Marc: Aber Herr Kaufmann, ich will Ihnen doch Ihren Schopenhauer nicht madig machen! Nur schade, dass das Wort Ironie bei ihm nicht vorkommt. Rhetorische Kniffe und sachliches Debattieren schließen sich nicht aus. Eine klare Trennung, wie Sie sie durch das Wörtchen "statt" andeuten, ist in der Praxis geradezu unmöglich, das demonstrieren nicht zuletzt Sie selbst: Ihrer Darstellung zu Folge geht es im Debattierclub lediglich um rhetorische Taschenspielertricks, während Stichhaltigkeit und Wahrhaftigkeit der Argumente völlig auf der Strecke bleiben. Das ist so natürlich nicht richtig, denn gerade wenn beide Seiten ihre Argumente gleichermaßen geschickt darstellen, wird zuletzt derjenige überzeugender sein, der neben allen rhetorischen Fertigkeiten auch sachlich die besseren Argumente hat. Sie wissen das, und indem Sie sich dennoch auf unlautere "verbale Fouls" versteifen, nutzen Sie eben jene Kniffe des Wortgefechts mit offenem Visier, die Sie in Bausch und Bogen verdammen. Sie werden in der Realität keine Debatte finden, die dem von Ihnen geforderten Ideal völlig entspricht. Wer nur stichhaltig argumentiert, rhetorische Kunstgriffe aber nicht beherrscht, wird diese auch beim Kontrahenten schwerlich als solche entlarven können, was wiederum eine sachliche Debatte erschwert. Ob Sie sich nun mit Büchern theoretisch rüsten, im spontanen Schlagabtausch der fiktiven Parlamentsdebatte oder beides: Schopenhauer hätte Ihnen sicherlich neben seiner Abhandlung auch den Debattierclub wärmstens ans Herz gelegt.

Johannes: Natürlich gibt es keine ernsthaft geführte Debatte ohne Polemik und ohne rhetorische Spielchen. Das Ideal kann jedoch dazu dienen, diese einzuschränken und gegebenenfalls zu entlarven. Doch macht es die künstliche Diskussionssituation in unserem Debattierclub nahezu unmöglich, sich ernsthaft mit dem Gegenstand der Debatte auseinanderzusetzen. Der Inhalt wird nämlich spontan auf der Sitzung vorgegeben; eine vorhergehende Beschäftigung mit dem Thema ist somit ausgeschlossen. Wenn ich also allein auf mein unreflektiertes Halbwissen beschränkt bin und dazu auch noch einen zugelosten Standpunkt vertreten muss, was bleibt mir dann anderes übrig, als mich vollständig auf die Rhetorik zu konzentrieren?

Aber letztlich sind wir uns doch einig, dass ein Debattierclub an sich eine gute und notwendige Sache ist. Er fördert Streitbarkeit und Reflexionsfähigkeit gleichermaßen, zwingt die Teilnehmer, sich in das Denken des Gegenübers hineinzuversetzen und sich damit auseinanderzusetzen. Das sind nicht nur sogenannte Schlüsselqualifikationen, sondern – wie Sie zu recht betonen – notwendige Fähigkeiten eines mündigen Mitglieds unserer pluralistischen Gesellschaft. Über das Wie kann gestritten werden – vielleicht sogar beim nächsten Treffen des Debattierclubs.

 


Literaturtips und Links für die Online-Version:

  • Arthur Schopenhauer: Eristische Dialektik oder: Die Kunst, Recht zu behalten. Kain & Aber-Verlag, Zürich 2006.
  • Homepage des Debattierclubs Satzbau: gruppen.tu-bs.de/debattierclub
  • Verband der Debattierclubs an Hochschulen: http://www.vdch.de/