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Ausgabe SoSe07 - 5
Autor Ramona Breyer

Bin ich hier im Zoo? - Zwanzig Minuten in Braunschweigs neuer Schlossfassade

Eigentlich wollte ich die Schloss-Arkaden von Anfang an boykottieren. Ich habe fast auf jeder Liste der Bürgerinitiative unterschrieben und laut vor meinen Freunden geschworen, dass ich niemals einen Fuß in das ECE Center setzen werde. Ich habe mit den Protestlern um Baum und Grashalm getrauert und um die letzte saubere Sitzecke am ausgetrockneten Schlossparkbrunnen, der einzigen Möglichkeit, seine chinesischen Nudeln im Sitzen zu genießen, ohne von Passanten mit Karstadt-Tüten begafft zu werden. Eigentlich war ich mir total sicher, dass ich noch in zehn Jahren ganz cool behaupten könnte, noch nie in den tollen Schloss-Arkaden gewesen zu sein. „Was ins Schloss? Da geh ich nicht rein! Diese alles und jeden wegwalzende Geldmaschinerie!“ Eigentlich...

Es ist der 30.03.2007, es ist 14 Uhr und schlechtes Wetter. Ideale Bedingungen zum Bücherstöbern, doch an meinem Arbeitsplatz herrscht gähnende Leere wo sonst jede Menge Kunden die Bücherregale durchwühlen. Ich höre die Kollegen von weitem schon das böse Wort mit „Sch“ sagen. Da dämmert es mir. Die Schloss-Arkaden haben seit gestern ihren von-6-bis-24-Uhr-Eröffnungsmarathon am Start und sagen den Braunschweiger Geschäften den Kampf an. Ich reihe mich also schnurstracks ein in die schimpfende Meute und fluche über Geldgier und Zerstörung der Innenstadt. Vereinzelt kommen die Ureinwohner Braunschweigs ins Geschäft und tun die Botschaft kund, dass das Grauen am Bohlweg unvorstellbar sei. Von vier Etagen ist da die Rede, von Gratisproben und Geschenken. Unglaublich! Und diese Menschenmengen erst! Tausende! Sowat hamse noch nich jesehn! Aber die Leute, die kommen schon wieder zurück! Hauptthema immer noch bei uns: der Feind in Grün-Blau, mit Tragetüten so dünn wie Seidenpapier und einer Bücherauswahl von RTL II-Zuschauern persönlich zusammengestellt. Natürlich interessiert uns alle gar nicht, wie sich der Feind im Vier-Etagen-Koloss so anstellt. Da stehen wir ganz cool drüber. Eigentlich...

Es ist 18 Uhr. Ich hab außerplanmäßig früh Feierabend. Ungewöhnliche Stille erwartet mich in den Straßen der Braunschweiger Innenstadt, und fast alle noch zu sehenden Leute scheinen nur in eine Richtung zu eilen. Auf ins Schloss! Zum König! Ach pardon, der Kunde ist ja König. Erst recht im falschen Schloss.

Wenn mich das alles so kalt lässt, wieso laufe ich wie mechanisch in die gleiche Richtung? Nur mal gucken, was auf dem Platz davor so los ist und dann zur Tram, denke ich. Wie war das noch mit ganz cool drüber stehen? Bevor ich mich vor mir selber schämen kann, stehe ich auf dem Schlossplatz. Ach nein, nicht Schlossplatz, sondern auf dem Platz vor den Schloss-Arkaden. Eines muss man den ECE-Marketing-Chefs wirklich lassen: das Konzept ist erstklassig. Die alte Braunschweiger Schlossfassade zu rekonstruieren ist teuflisch genial. Ich habe das Gefühl, vor lauter Ehrfurcht gleich einen Knicks machen zu müssen.

Als Hofbedienstete verkleidete Menschen schenken mir Flyer mit Aktionsangeboten und einen Orientierungsplan für das Gebäude. Ich bin hier doch nicht im Zoo! Oder doch? Wieso ein Orientierungsplan? Ich werde mich doch wohl durch ein Einkaufszentrum finden. Ich werde mich finden? Ich habe also gerade beschlossen, mir den Spuk selber anzuschauen? Interessant. Natürlich behalte ich dieses Unternehmen für mich. All meine Schwüre und nicht zu vergessen mein Spiegelbild! Ich verschiebe meinen Ärger über mich selber auf später. Kragen hochgestellt und rein ins Schloss! Ich gebe zu, nicht gerade erwartungsfrei peile ich den Eingang an. Stimmt es was die Ureinwohner zu sagen pflegten? Und wo bitte geht’s hier zur Konkurrenz?!

Es kostest mich geschätzte fünf Sekunden um die Schlossfassade zu durchqueren, dann stehe ich im sagenumwobenen Glaspalast. Und jetzt? Das war’s? Das war die tolle Schlossrekonstruktion? Eine drei Meter starke Fassadenmauer und dann DAS? Rolltreppen, peinliche Mosaik-Springbrunnen und Ledersessel im Entree???

Kaum habe ich den historisch bedeutenden Teil des Einkaufszentrums hinter mir gelassen, zwingt mich der Einkaufsgigant zu der alles entscheidenden Frage: Stelle ich mich an der schwitzenden Starbucks-Warteschlange an, um später cool mit dem Kaffeebecher flanieren zu können? Spendiere ich schon die ersten fünf Euro, um mich ganz dem American way of shopping hinzugeben? Ich behalte meine fünf Euro und schäme mich auf einmal ein bisschen weniger vor mir selber.

Okay, persönliches Ziel ist es, den Feind auszuspionieren. Also zügig die erste Etage abgrasen, um falls notwendig auch noch im zweiten Obergeschoss zu suchen. Die gläserne Architektur und der Menschenfluss sind nicht förderlich bei der Bekämpfung meiner Höhenangst. Ständig drängeln mich Menschen an das durchsichtige Geländer, und ich kann nicht mehr unterscheiden, was mich mehr stört. Ist es die schwindelerregende Höhe des ersten Obergeschosses? Ist es der hunderttausendste Jeansladen mit dröhnender Musikbeschallung? Oder sind es gar die alle zwei Meter auftauchenden verrauchten Italienischen Eiskaffees?

Abgesehen vom Schwindel überkommt mich auch ein seltsames Déjà-vu-Gefühl. Bin ich hier in der Innenstadt und das war alles nur ein Traum? Laut Braunschweiger Zeitung befinden sich in dieser Fassade 48 Geschäfte, welche auch in der Innenstadt vertreten sind. Keine fünf Minuten entfernt befindet sich jetzt also eine unfreiwillig zur Kopie gemachte Einkaufsmeile unter freiem Himmel namens „Braunschweiger Innenstadt“. Wer in diesem Glaspalast hier mehrere Stunden aktives Shopping betrieben hat, wird wohl keine Lust mehr haben auf exakt die gleichen Läden in der Innenstadt und wird sich jetzt vielleicht zweimal überlegen, für die Unikate unter den Einzelhändlern Braunschweigs noch den Weg anzutreten. Ich jedenfalls bin gerade einmal zwanzig Minuten unterwegs und fix und fertig. Ich laufe weiter im Slalom um Großfamilien und Rentner herum und hab mittlerweile total vergessen wie, wann und warum ich hierher gekommen bin. Der Feind interessiert mich auf einmal nicht die Bohne. Qualität vor Quantität! Außerdem muss ich mir gerade eingestehen, dass ich vollkommen die Orientierung verloren habe. So muss ich reumütig den Zoo-Lageplan aus der Tasche holen. Das ist mein Zeichen. Ich muss hier raus!

Auf dem Weg nach draußen wandert mein Blick in einen kleinen Einrichtungsladen. Ich gebe zu, dass ich ihn sehr anziehend finde und kann nicht widerstehen, hineinzuschauen. Da nur die Gänge im ECE-Center voll sind und nicht die Geschäfte, werde ich in diesem Laden von niemandem gedrängelt oder geschubst. Ich sehe eine Lampe und mache kurzen Prozess. Verdammt, eigentlich wollte ich doch gar nichts kaufen. Eigentlich... Am nächsten Tag will ich den Kollegen meine Spionage beichten und stelle erleichtert fest, dass ich nicht die einzige Mitarbeiterin auf Abwegen war. Der Laden ist heute nicht gerade voll, aber wenigstens auch nicht gähnend leer. Ich hoffe, dass die Ureinwohner Recht behalten und die Kunden wieder zurückkommen. Eigentlich finden alle die Innenstadt viel attraktiver – heißt es doch. Eigentlich...

Ramona Breyer