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Ausgabe Exklusiv Online
Autor Kristina Werndl

Dracula war gestern!

Der Rumänien-Schwerpunkt im Aurora-Magazin

Von Kristina Werndl

Transsylvanien – der Name klingt wie Musik. Es ist wie Serbien ein Land, wo die Heldinnen der B-Movies zuhause sind, die schönen und gefährlichen Frauen, die man sich im Amerika der 40er und 50er Jahre nicht vor der eigenen Haustür denken wollte und als Immigrantinnen ins Filmgeschehen importierte.
Seit der Wende zum 20. Jahrhundert ist Rumänien im Westen vorrangig imaginär präsent – in Form von Bildern/images, die diesem Land vorauseilen: In erster Linie denkt man da an jene Blutsauger, die Bram Stoker in die Welt setzte und die sich seither in die weltweite Wahrnehmung dieses Flecken Lands verbissen haben.
Diese Dominanz des Imaginären über das Reale, der mythischen Vampir- über die Wirklichkeitswelt in Rumänien ist auf den ersten Blick unproblematisch. Denn Mythen bieten den Menschen seit jeher die Gelegenheit, Probleme ihrer Zeit an archetypischen Formen des (Zusammen-)Lebens und Handelns zu reflektieren.

Arbeit am Mythos

Mit Rumänien verschwistert wie Adam mit Eva ist der Vampir-Mythos. Dieser ist Moden unterworfen und hat in seiner konkreten Ausgestaltung mitunter gehörig Patina angesetzt, wie an Roman Polanskis "Tanz der Vampire" (1967) gut zu bemerken ist. Dessen Ober-Blutsauger, Graf Krolock, mutet in seinem majestätischen Habitus, seinem Starrblick und Zähnefletschen nicht im mindesten mehr erschreckend an – eher als augenzwinkerndes Zitat auf einen immerdurstigen Widerling. (Erotisch) schaudern lässt einen da, wenn überhaupt, nur die schöne Wirtstochter Sharon Tate, die für ihre Badelust mit zwei brunnentiefen Löchern im Hals bezahlt.
Polanskis Film war freilich immer schon als Komödie gedacht, und die karikierende Typenhaftigkeit ist hier Programm. (Unfreiwillig) komisch – nicht zuletzt ob der irren Sprüche – ist Stephen Sommers Horror-Action-Fantasy-Movie „Van Helsing“ (2004). Ein synkretistischer Mythen-Cocktail: „Nichts ist schneller als die Pferde Transsylvaniens“, heißt es darin. Und als die Welt den Atem anhält und schweigt, wie die Natur vor Ausbruch des Sturmes – in den Sekunden bevor Graf Dracula dem Vampirjäger Van Helsing den Garaus machen will –, äußert dieser im obligatorischen Wort-Duell den denkwürdigen Satz: „Ich erkenne den Charakter eines Mannes an seinem schlagenden Herzen”.

Herz, Blut und Wunden

Freilich muss man sich auf anderer Ebene schon fragen, wie es um den imaginären Charakter des Mythischen bestellt ist. Zumindest in übertragener Bedeutung ist die vampirische Aneignung von Lebenssaft ja allgegenwärtig: Tag für Tag reißen wir die Energien und Ressourcen anderer Länder an uns, halten wir uns an fremdes Leben, um unseren eigenen Lebensstandard zu bewahren. Beim Live-8-Konzert sind wir dann mit Bob Geldof solidarisch und machen einige Euros locker ...
Einen ganz üblen Vertreter einer solchen Haltung hat der Schriftsteller Josef Winkler in seinem jüngsten Prosaband gestaltet: den chauvinistischen, aus der Familie "Francula" stammenden Kärntner Dorfgendarmen Pelé. Dieser hält sich durch die Energiezufuhr anderer Menschen fit, lässt sich seine Zähne in Slowenien richten und das Frauchen daham sein Ego umsorgen. Dracula lebt – so gesehen. Die Arbeit am Mythos (Hans Blumenberg) ist ohne Telos.

Branding als Vampir-Eldorado

Die Dominanz des Imaginären über das Reale wird da zum Problem, wo sie die Sicht auf die Zustände verstellt, wo Stereotype in der medialen Aufmerksamkeitsökonomie die Wahrnehmung von Neuerungen unterdrücken. Das gilt für Rumänien zweifellos. Real ist das Land weitgehend unbekannt. Medial begegnet es auch nach dem EU-Beitritt meist nur in Form von Zahlenkolonnen zum BIP-Wachstum und Auslands-Investitionsvolumen. Das Bildgedächtnis aber ist bunter. Was assoziieren wir im Westen spontan mit Rumänien?
Rurales im Wesentlichen, schlechte Straßen, Pferdefuhrwerke, eine veraltete Landwirtschaft; Straßenkinder, Menschenhandel und Zwangsarbeit, Korruption; CeauÅŸescu natürlich; kleinwüchsige Turnerinnen mit traurigen Augen, die, nachdem sie alle Medaillen abgeräumt haben, in der Umarmung ihres Trainers verschwinden. Die Fußball-WM 1990 in Italien knapp nach der Revolution, wo die Rumänen als einzige Mannschaft des Turniers ohne Nationalwappen auf der linken Brust mit "nackten" Leibchen spielten.
Mit der Revolution – der "revoluÅ£ia": nach gängiger Meinung eine Kombination aus spontaner Volkserhebung und geplantem Staatsstreich – ist ein Schlüsseldatum der jüngeren rumänischen Geschichte genannt, von dem aus das Land neu besichtigt werden muss. Was hat sich seit dem gewaltsamen Tod CeauÅŸescus getan? Wohin hat sich Rumänien entwickelt?

Wirtschaftsmigration

Das Land ist UN-, OSZE-, seit 2004 NATO- und seit diesem Jahr EU-Mitglied. Sibiu/Hermannstadt ist 2007 (zusammen mit Luxemburg) Gastland der europäischen Kulturhauptstadt – eine große Chance für die Region. Rumänien insgesamt ist allerdings ein Land, dem viele junge, gut qualifizierte Städter in den Westen abhanden kommen, wobei das Gros – wie so oft – schlechter qualifizierte Arbeiter sind. Diese Arbeits- und Wirtschaftsmigranten kontinuieren ein trauriges Kapitel des vergangenen Jahrhunderts: die Erfahrung des Exils und der Fremde. Unter dem Antonescu-Regime, unter sowjetischer Besatzung, unter KP-Führer Gheorghe Gheorghiu-Dej und später unter CeauÅŸescu waren viele Intellektuelle zur Emigration gezwungen und fanden etwa in Frankreich, Israel und den USA eine Bleibe; andere wurden ermordet. Auch heute leben, arbeiten und studieren viele RumänInnen fern ihrer Heimat im vermeintlich goldenen Westen.
Denkt man sich Europa als einen Umschlagplatz von Kunst und Kultur, erscheint das postrevolutionäre Rumänien als kulturell verödeter Landstrich. Stimmt dieser Eindruck, fragt man sich, leuchten auf einer gegenwartskulturellen Landkarte wirklich nur wenige Lichtlein? Hat CeauÅŸescu nur verbrannte Erde hinterlassen? Weit gefehlt. Rumänien mit seinen knapp 22 Millionen Einwohnern birgt ein großes kreatives Potential, etwa eine bunte Schar von SchriftstellerInnen, deren Werke bei uns nur deshalb nicht wahrgenommen werden, weil die Übersetzungslage so prekär ist. Gegenmaßnahmen, die implementiert wurden, brauchen noch Jahre, um zu greifen. Rumänien verfügt auch über eine florierende Filmszene, die besonders im Bereich des politischen Films hervortritt und bei diversen internationalen Festivals punkten kann. Kürzlich war in einigen österreichischen Programm-Kinos Corneliu Porumboius preisgekrönte Filmsatire "12:08 östlich von Bukarest" zu sehen. Darin zeichnet der Regisseur ein Bild der gegenwärtigen rumänischen Gesellschaft, die sich an einem heißen Eisen der aktuellen politischen Diskussion aufreibt: der Frage um den Charakter der „Revolution“.

Positive Diskriminierung

Rumänien bemüht sich, den Nimbus als korrupte Nation abzulegen, und kann dank der parteilosen Justizministerin Monica Macovei beachtliche Erfolge bei der Korruptionsbekämpfung aufweisen: Sie anonymisierte die Zuweisung von Fällen an die Gerichte, setzte eine Antikorruptionsagentur mit weit reichenden Kompetenzen und einem unabhängigen Chef durch und machte der Allgemeinheit via Internet die Besitzverhältnisse der öffentlichen Angestellten und Beamten einsichtig. Als landesweiter Vorzeigefall von Finanzdisziplin und gelungener Revitalisierung gilt das von Bürgermeister Klaus Johannis regierte Sibiu/Hermannstadt.
Ende 1999 wurde ein Gesetz zur Öffnung der Securitate-Akten verabschiedet, das unter dem gegenwärtigen Staatspräsidenten Traian Băsescu im Vorfeld des EU-Beitritts in einem "plötzlichen Säuberungsfieber" (so eine große Bukarester Tageszeitung) kulminierte. Die längst nötige Aufarbeitung der Securitate-Vergangenheit und damit die Auseinandersetzung mit der jüngeren rumänischen Geschichte gewinnt an Fahrt; sie lässt für die Zukunft einiges erhoffen. Erwähnenswert trotz aller Unzulänglichkeiten ist das in der Verfassung von 1991 verankerte Prinzip der positiven Diskriminierung zur parlamentarischen Repräsentation von ethnischen Minderheiten.

Versunkene Worte

Für Misstöne sorgt international die extremistische PRM (Partidul România Mare, zu Deutsch: Großrumänienpartei), deren ultranationalistische Stimme einem aus dem Mund ihres Führers Vadim Tudor entgegenpöbelt. Der antidemokratische, durch seine negationistischen Äußerungen zum Holocaust berüchtigte CeauÅŸescu-Dichter hat sich kürzlich mit anderen rechtsextremen, nationalpopulistischen und sezessionistischen Parteien zu einem EU-Parlamentsklub zusammengeschlossen. Mit dabei sein Parteikollege, der künftige EU-Parlamentarier Dumitru Dragomir, der "Juden zu Seife" verarbeiten will. Er ist als Magazinherausgeber Autor einer Rubrik mit dem Titel "Zvastika" (Hakenkreuz). Bei solch offenem Antisemitismus hält sich selbst einer der Väter der europäischen Rechtsfraktion, Andreas Mölzer, bedeckt.
Glücklicherweise werden im Transformationsprozess seit den 90er Jahren auch Zeitzeugnisse vergessener bzw. vergessen gemachter Schriftsteller publik, etwa die Tagebücher Michail Sebastians, der im Vorkriegsrumänien die Stimmung antijüdischer Ressentiments eingefangen hat. Seine Tagebücher sind nach Meinungen einiger Rezensenten ein reiferes und ebenso dramatisches Zeugnis der Barbarei wie das Tagebuch von Anne Frank. Etablierte Persönlichkeiten wie der Religionshistoriker Mircea Eliade und der Philosoph E. M. Cioran müssen sich einen kritischen Blick auf ihre Verstrickungen in den rumänischen Faschismus gefallen lassen.

Kulturelle Gegenwartsbestimmung

Es ist hier nicht Raum, die einzelnen Texte und ihre VerfasserInnen vorzustellen, die sich am Rumänien-Schwerpunkt in der Aurora beteiligt haben. Ziel war es, Rumänien in Europa zu verorten: Wo steht dieses Land heute, und wie stehen "wir" im Westen zu ihm? Versammelt sind Beiträge verschiedenster AutorInnen: über die rumänische Literatur-, Theater- und Filmszene, über rumänische Städte, Politik und Wirtschaft, Geschichte und Landesnatur, Exil und Heimat, Mythen und Legenden. Künstlerische Graphiken und belletristische Text sowie eine umfangreiche Linkliste komplettieren den Schwerpunkt. http://www.aurora-magazin.at/gesellschaft/rum_inhalt.htm


Freilich ist das Präsentierte nur eine winzige Auswahl aus einem weiten Feld, das beackert werden sollte. Deshalb ist der Schwerpunkt strukturell offen und kann noch bis inklusive Juni (Redaktionsschluss: 20. Mai 2007) durch Text- und Bildbeiträge ergänzt werden. Diese nehmen wir gerne unter den im Impressum verzeichneten E-Mail-Adressen entgegen.

Gen-Auberginen

Das Aurora-Magazin sieht seinen Rumänien-Schwerpunkt als Beitrag zur Behebung einer journalistischen Lücke. Denn Österreichs Breitenmedien haben, anders als bei der vorletzten EU-Erweiterung, im Vorfeld der neuen Erweiterungsrunde eine umfassende Berichterstattung vermissen lassen. Wir hoffen, dass wir unser Schäuflein dazu beitragen können, dass man Rumänien nicht mehr nur historisch bzw. mythisch-legendarisch wahrnimmt. Wenn man mit diesem Land neben Dracula einen Präsidenten Băsescu verbindet, wenn man weiß, dass es neben Wäldern, Wehrkirchen und einem artenreichen Donaudelta auch über Ackerflächen verfügt, in denen US-Konzerne großflächig gentechnisch veränderte Lebensmittel anbauen – und nicht nur Pferdefuhrwerke mit besoffenen Bauern ihre Runden drehen –, ist schon einiges gewonnen. Es ist in der Tat bemerkenswert, dass Rumänien mittlerweile zu den am stärksten deregulierten und privatisierten Volkswirtschaften der Welt zählt und als ein lange von der Kommunistischen Partei regiertes Land mit 0,2% nur einen verschwindend kleinen Anteil an formalen Atheisten und Konfessionslosen aufweist.


Wir hoffen, dass sich im wechselseitigen Umgang der alten und neuen EU-Staaten ein vampiristischer Austausch kultureller Lebenssäfte und Blutkreisläufe ergeben möge. Wir wünschen: Guten Appetit!


www.aurora-magazin.at