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Kategorie Regionales
Ausgabe WS0607 - 4
Autor Martin Haim

Die Stadt der Wissenschaft: Staunen und Raunen - ein polemischer Kommentar

Braunschweig im Jahr 2007 nach der Geburt Jesu. Zweitausendundsieben Jahre hatte die Wissenschaft nach dieser Zeitrechnung zur Verfügung, um sich zu dem zu entwickeln, was sie heute ist. Der Stolz einer Stadt in Niedersachsen, die ihr letztes Blut gibt, um die geistige Bildung ihrer Söhne und Töchter zu ermöglichen. Landesvater Christian Wulff und Oberbürgermeister Hoffmann stehen in einer Tradition der Großzügigkeit, welche schon Adolf Hitler hier wilkommen hieß und nun uns – den jungen Menschen – zuteil wird.

So auch die Hochschulpolitik im Bezug auf die Technische Universität, Verzeihung, Carolo Wilhelmina (Stillgestanden!). Dabei werden längst fällige Schritte vollzogen. Als erstes wurden die nicht der deutschen (Rüstungs)Industrie dienlichen Studiengänge, was alle gutmenschlichen Schwafelbuden beinhaltet, verkürzt, härter budgetiert, personell zusammengestrichen und geschwächt. Zweitens wurde durch einen Pakt mit einer auflagenstarken Lokalzeitung eine hervorragende Öffentlichkeitsarbeit für die industrienahen Bereiche der Technischen Universität durchgeführt. Dies gipfelte in einer durch die Medien mehrseitig dokumentierten Vorführung auf dem Kohlmarkte nahe der herzöglichen Residenz, bei der das Volke aufzusehen vermochte zu ihren Herren des Wissens, der Elite. Experimente, Versuche und „Knoff Hoff“ wurden gezeigt, Wissenschaft wurde so handfest dargestellt wie ein Marschflugkörper von Ruhrmetall oder die rostenden Fässer unter der Asse. Das Volk ist nun sehr beruhigt, da es ja auch durch die Zeitung weiß, wie unermüdlich in Niedersachsen geforscht wird. Vergessen sind die fusselbärtigen Kommunisten, welche bis in die Achtzigerjahre hinein die Hochschulen mit ihrer von Moskau gesteuerten Geisteswissenschaft vergifteten. Heute leben und lernen hier junge Burschen und Mädels, straff organisiert durch Marktwirtschaft und politische Verordnungen von oben, die nur eines wollen: Deutschland und seinen Managern zu dienen. Dieser große Erfolg, ein weitreichender Geisteswandel weg von der Selbstverwirklichung hin zur Karriereverwirklichung, wird auch den bundesweiten Mangel an Akademikern beheben. Denn durch die Kürzung von Studienmitteln und die Einführung von Studienbeiträgen werden weitaus mehr junge Deutsche studieren können. Dann wird ein Traum in Erfüllung gehen. Hunderttausende wohlhabender Jung-Unionisten werden die Plenarsääle füllen, Raketen und schlanke Unternehmensführung erforschen, das Horst-Wessel-Lied in Eiche getäfelten Sälen singen und aus Dankbarkeit ihr Wahlkreuz bei der Union machen. Braunschweig frohlocke, die Wissenschaft hat nach 2007 Jahren hier ihren Höhepunkt gefunden. Vergessen sind Frankfurt, Heidelberg, Oxford. Rule, Lower Saxony!

An dieser Stelle endet die Ironie, weiter hätte ich sie ohnehin nicht treiben können. Was bleibt, ist eine Tatsache: In Zukunft wird in Deutschland die Elite forschen und das Volk staunen. „Ja war das denn nicht immer so? Es kann ja nicht jeder studieren!“. Oh doch. Die Verfassung sieht es vor. Jede und jeder kann studieren. Und wenn die Verfassung nicht mehr beachtet wird, was bleibt dann? Ein hohles Gerüst von Staatlichkeit, in dessen Grenzen Klientenpolitik auf dem Rücken der Mehrheit ausgetragen wird. Um die Vision von Elite-Universitäten zu erfüllen, bedarf es nunmal einiger Schritte. Einer davon ist es, den Großteil der akademischen Bildung schlechter zu machen als den zukünftigen Eliteteil. Und diesen Prozess erleben wir gerade.

Was sollte anders sein? Nun, in einer Demokratie, was immerhin Herrschaft des Volkes bedeutet, sollte Bildung nicht elitär sein und auch nicht elitär gemacht werden. Sie sollte vielmehr von geistiger Fähigkeit und dem Interesse des Individuums abhängen. Nicht nur die Eliten sollten forschen, damit das Volk staunt. Nicht von oben nach unten soll sich die Gesellschaft bilden. Das Volk soll forschen – und dann staunen die Eliten.

Martin Haim