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Kategorie BUZe kontrovers
Ausgabe WS0607 - 4
Autor Martin Niefind

Die Lebenslüge der Protestbewegung, oder wir sitzen NICHT alle im selben Boot

Die Bildungshürden sind zu hoch, musste unser Bildungsminister Lutz Stratmann feststellen. Die wenigen Studierenden, die sich zur „großen“ Anti-Studiengebühren-Demo anlässlich seines TU-Besuches aufrafften, schafften es nämlich, ihm eine halbe Stunde seiner Zeit zu stehlen, um ihn an einem selbsgebauten Bildungsparcours vor dem Altgebäude scheitern zu lassen. Womit wir beim Problem angelangt sind - Studiengebühren und der Protest dagegen.

Ein Studier'nder steht im Walde ganz still und stumm...

Zur Freude unserer niedersächsischen Landesregierung lief die Einführung der Studiengebühren bei den Studienanfängern im letzten Semester geräusch- und problemlos über die Bühne. Die eine oder andere Campusdemo musste man über sich ergehen lassen, und gelegentlich sah man aus den höheren Büros des Landtags eine Großdemo vorbeiziehen. Doch verglichen mit vielen anderen „Reformen“ - sprich Kürzungen, Gebühren- oder Steuererhöhungen - war der Lärmpegel gut zu ertragen. Aus Politikersicht hatte man mit der Vermutung recht, dass außer den notorisch linken Asten und einigen Sozialromantikern keiner ernsthaft Stress machen würde. Bei der gegenwärtigen sozialen Zusammensetzung der deutschen Unis war das auch nicht zu erwarten. Unser Bildungsminister hat auf perverse Weise recht, wenn er sagt, dass wir uns nicht so anstellen sollen. Wir sind ja in kurzer Zeit alle hochbezahlte Ingenieure und die lumpigen zehn, fünfzehn oder auch 25.000 Euro können wir in null Komma nichts zurückzahlen. Er kann sich darauf verlassen, dass die meisten Studierenden nicht in der von linker Seite propagierten Schuldenfalle sitzen werden. Denn wenn es einen Ort gibt, an dem 1000 Euro pro Jahr zusätzlich kein Problem darstellen, dann ist es die Uni, sind es die Studierenden und deren Eltern.


Ach wo kommt das Geld nur her?


Schließlich haben die vielen Ingenieure von morgen ja schon den Ingenieur von heute zum Vater. Und wenn Papi nicht ganz dumm war, sollte Mami Ärztin oder doch wenigstens Grundschullehrerin sein. Und genau hier liegt der Grund, warum die Proteste so mau, mickrig und alles in allem wirkungslos waren. Den meisten Studenten geht der Protest am Arsch vorbei, weil ihre Eltern für ihren Lebensunterhalt aufkommen.
Von den Eltern bitte sehr
In ihrem Leben wird sich nichts ändern - oder wie es so schön aus Hannover hieß: „dann geht halt mal ne Tasse Kaffee weniger trinken“. Viele unserer Studierenden teilen diese Sicht. In einem Streitgespräch mit einem Luft- und Raumfahrttechniker bekam ich zu hören: Nicht die Gebühren seien Schuld wenn Jugendliche aus ärmeren Familien nicht mehr studieren, sondern der mangelnde Wille ihrer Eltern. Wörtlich und ungelogen: „meine Eltern sind auch jahrelang nur Golf gefahren, um meiner Schwester und mir den Geigenunterricht zu bezahlen“. Ich werfe diesem Kommilitonen weder Dummheit noch außergewöhnliche Ignoranz vor. Denn er ist symptomatisch für die Denke und die Vorstellungen vieler an der Uni. In ihrem Weltbild haben Kinder aus der Unterschicht sowieso nicht das geistige Potential zum Studium. Wo sollte es denn wohl herkommen bei armen (= dummen) Eltern?

Der Staat sorgt sich um das Wohl aller


Um jedem Bürger die Rahmenbedingungen zu geben, seine Fähigkeiten voll auszuschöpfen, hat unsere Regierung wohlbehütend ein Vorsorgeinstrumentarium geschaffen, um akademisches Scheitern und finanzielle Katastrophen von Studierenden zu verhindern - das dreigliedrige Schulsystem!

Die Pisa-Studie hat uns zertifiziert, dass wir im internationalen Vergleich exzellente Arbeit leisten,


wenn es darum geht, Proletenkinder von weiterführenden Schulen fernzuhalten. Verbietet ja auch keiner der 1-Euro-jobbenden Putzfrau, die Tochter zur Arbeit mitzunehmen. Dann sieht die Kleine auch mal ein Gymnasium von innen. Aber die Pisa-Studie brachte auch Erschreckendes zu Tage: Trotz aller wohlwollenden Bemühungen schleichen sich nach wie vor Schmuddelkinder ins Gymnasium ein. An dieser Stelle mag jeder Leser an die eigene Gymnasialzeit zurückdenken. Das waren diese Leute in den Scheißklammoten, die alle zwei Jahre verschämt den Finger hoben, wenn der Lehrer fragte, ob jemand das Zuschussformular für die Klassenfahrt ausfüllen müsse.

Und das Problem ist mit dem Abitur nicht erledigt, denn einige dieser Querulanten schreiben sich tatsächlich an der Uni ein. Frechheit!
Wie kann man in Ruhe seine sechs Wochen Sprachurlaub in den USA planen, wenn der Kommilitone am Nebentisch rumheult, dass er nicht genug Geld für die sechs geforderten Bücher im Shakespeare-Seminar hat? Sollte nicht wenigstens der Mikrokosmos Uni von solch minderwertigen Problemen pekuniärer Natur befreit sein?

Wenn man sich die Politik unserer konservativen Landesregierung und die der großen Koalition anschaut, scheinen sie es so zu sehen. Oder glaubt jemand ernsthaft, dass eine alleinerziehende Mutter mit Hartz IV zwei Kinder zum Studieren schicken kann? Das gesellschaftliche Versprechen, dass jeder unabhängig von seiner Herkunft seine Talente entfalten kann, wird vom Staat aufgekündigt. Schritt für Schritt bauen wir das Ideal der sozialen Gerechtigkeit ab. Die Akademiker schreiten voran. Aber das ist ja auch mit einer kleinen Ausnahme Ende der 60er nichts Neues. In den siebziger Jahren haben wir das Schulgeld für Gymnasien abgeschafft; bei unserem Reformtempo führen wir es spätestens 2020 wieder ein. Dank unserer vorausschauenden Arbeit wird es dann auch keine Unterschichtenakademiker mehr geben, die den Finger in die Wunde legen. Unsere Landtagsabgeordneten werden hingegen auch weiterhin ihren Filius zum Sprachkurs nach Cambridge und die Frau Tochter zum Studieren an die Sorbonne schicken. Die Proletenkinder, auch die schlauen, werden bis dahin Gott sei dank vergessen haben, was eine Uni überhaupt ist.

Martin Niefind