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Kategorie Regionales
Ausgabe WS0607 - 4
Autor Johannes Kaufmann

Verbuddelt und Vergessen - Radioaktiver Abfall im Forschungslager Asse II bei Remlingen

2006 war das Jahr des Klimawandels, das Jahr in dem die erschreckenden Auswirkung des menschlichen CO2-Ausstoßes auf diesen Planeten es endlich zum vieldiskutierten Thema der politischen Bühnen dieser Welt geschafft haben – sicherlich nicht nur wegen Al Gores selbstdarstellerischen Dokumentarfilms.

Einige Reaktionen auf diese Befürchtungen dürften den scheinbar endlich erhörten Umweltschützern und Greenpeace-Aktivisten allerdings kaum gefallen. So ließ sich Angela Merkel kürzlich in Anbetracht der schmerzlich bewusstgewordenen Abhängigkeit Deutschlands von russischen Gaslieferungen zu der Aussage verleiten, die Atomkraft biete die Möglichkeit, dieser Situation entgegenzusteuern. Und auch aus Klimaschutzgründen scheint die ‚saubere‘ Kernenergie keine schlechte Wahl zu sein, erzeugt sie doch im Vergleich zur Verbrennung fossiler Brennstoffe kaum CO2.

Allerdings bilden Kernkraftwerke kaum eine potente Alternative zu Kohle, Öl und Gas. Weniger als sieben Prozent des weltweiten Energiebedarfs (etwa 16 Prozent der globalen Stromerzeugung) werden durch Atomenergie gedeckt. Wollte man diesen Wert auf 15 Prozent erhöhen, müsste die Zahl der bisher existierenden knapp 500 Reaktoren mindestens verdoppelt werden. Um fossile Brennstoffe vollständig zu ersetzen, wären tausende neue Reaktoren notwendig. Kann also die Lösung des Energieproblems sein, statt Umwelt verschandelnden Windparks ansehnliche Atomkraftwerke in die Welt zu setzen?

Unabhängig davon, dass Kernenergie ausgesprochen kostenintensiv, um nicht zu sagen extrem teuer, ist und im Gegensatz zu regenerativer Stromerzeugung auch nur wenige Arbeitsplätze schafft, übersehen Befürworter einer derartige Lösung das wohl entscheidende Problem der Atomkraft: den Müll. Weltweit existiert bisher noch keine einzige wirklich sichere Entsorgungsmöglichkeit.

Dabei wurden seit Beginn der Nutzung der Kernenergie alle möglichen Szenarien diskutiert: vom Schuss in den Weltraum, über die Versenkung im Meer, welche allerdings nicht nur diskutiert wurde – vor der amerikanischen Pazifikküste rosten etwa 70.000 Fässer mit Plutonium- und Cäsiumabfall vor sich hin –, bis zum Vergraben in der Erde.

1967 wurde in Kansas erstmals das Konzept der Endlagerung von Atommüll in Salz angewendet. Doch schon drei Jahre später konstatierte William Hambleton, der zuständige Geologe des Salzfeldes Lyon, über die eingelagerten Fässer: „Man spricht von Behältern. Nach einer kurzen Zeit werden sie nicht mehr vorhanden sein. Die radioaktiven Substanzen sind dann nur noch vom Salz umschlossen. Die Möglichkeiten des Wassereinbruchs, die Verseuchung des Grundwassers, die Probleme des Wärmeflusses, des Druckaufbaus bis hin zur Explosion und alles dies auf unbegrenzte Zeit, das macht mir Sorgen“.

Sorgen, die die Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF – heute Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung) anscheinend nicht teilte, als sie 1967 mit der Einlagerung von Atommüll im „Forschungslager Asse“ bei Wolfenbüttel begann. Und obwohl ein Gutachten zur Beschaffenheit des Salzstocks bereits 1976 feststellte, es sei „nicht möglich, eine gesicherte Aussage über die Standfestigkeit dieses Grubengebäudes für einige hundert oder gar tausend Jahre zu machen“, wurde bis 1978 mit der Einlagerung fortgefahren. Mehr noch, seit August 1995 werden die leeren Schächte des Bergwerks mit Abbaumaterial befüllt, um das ‚Forschungslager‘, in dem schon seit Jahren nicht mehr geforscht wird, in ein Endlager für die über 100.000 Fässer mit radioaktivem Abfall umzuwandeln.

Immerhin ist man das Zeug dann endgültig los – möchte man meinen. Doch das dauert einige Zeit. Der Asse-Müll enthält unter anderem Plutonium und andere langlebige Alphastrahler, die noch tausende, wenn nicht Millionen von Jahren aktiv sein werden. Ist allein schon diese Vererbung gefährlichen Mülls an die kommenden Generationen kaum zu verantworten, ergibt sich zusätzlich auch noch das Problem, dass die Lagerung im Salz keinesfalls sicher ist, nicht einmal für überschaubare Zeiträume. Durch die Einwirkung von Strahlung auf das den Müll umgebende Füllmaterial und das Wirtsgestein kommt es zu einem Zustand, den Prof. Dr. Rolf Bertram, Koordinator des Instituts für Forschung und Bildung in Göttingen und ehemaliger Mitarbeiter des Instituts für Physikalische und Theoretische Chemie der TU Braunschweig, als „multiples Reaktionssystem“ beschreibt. Ein solches System sei völlig unberechenbar, weil es viel zu viele unbekannte Variablen und Einflüsse enthalte.

Es könnte also etwas schiefgehen, muss aber nicht? Ganz davon abgesehen, dass man von seiner Regierung erwarten kann, im Umgang mit Atommüll kein Glücksspiel zu betreiben, gesellen sich zu diesen unbekannten durchaus bekannte und erforschte Risiken. Seit über einem Jahrzehnt dringt Wasser in das Bergwerk und verbindet sich mit dem Salz zu aggressiven Laugen, die das Wirtsgestein auflösen. Noch können diese Laugen vom Müll ferngehalten werden, doch sie aufzuhalten ist unmöglich.

Um dennoch eine dauerhafte Sicherheit zu gewährleisten und das Grubengebäude vor dem Einsturz zu bewahren, sollen die Müllkammern nun mit einem „Schutzfluid“ aufgefüllt werden. Ein „Täuschungswort“, wie Bertram feststellt, versucht es doch zu verschleiern, dass mit dieser bisher völlig unerforschten Methode Wasser in unmittelbare Nähe des Mülls gelangt. Denn bei dem Fluid handelt es sich um wässrige Magnesiumchloridlösung.

Ein Bericht des Forschungszentrums Karlsruhe (FZK) aus dem Jahr 2003 zu den Wechselwirkungen dieser Flüssigkeit mit dem Atommüll weist nicht nur auf die Risiken des Abtransports radioaktiver Stoffe über das Schutzfluid ins Grundwasser hin, er kommt auch zu dem Ergebnis: „Gelangen hochkonzentrierte magnesiumchlorid- bzw. natriumchlorid-reiche Salzlösungen in das Nahfeld eines Endlagers, werden die herrschenden pH-Werte und Redoxbedingungen durch die Radiolyse und die Behälterkorrosion verändert. Die Radiolyse führt zur Bildung von Wasserstoff, Sauerstoff und gelösten Chloriten“. Um zu erkennen, dass dies eine alles andere als ungefährliche Situation ist, muss man nicht Chemie studiert haben. Im Klartext sagt der Bericht: Über kurz oder lang füllt sich das Bergwerk mit einem giftigen, explosiven Gasgemisch.

Aufgrund des mangelnden Gasaustausches mit der Umgebung wird nicht einmal menschliches Einwirken für eine Katastrophe vonnöten sein. Da die Stabilität des Grubengebäudes nur bis 2013 gewährleistet werden kann – der Jahresbericht 2006 der GSF für die Asse spricht von "geringe[r] Resttragfähigkeit" des Bergwerks –, soll die Asse vollständig aufgefüllt und verschlossen werden. Die möglichen Folgen eines solchen Verfahrens beschreibt eine Stellungnahme der Reaktor-Sicherheitskommission (RSK) aus dem Januar 2005: „Bei einem undurchlässigen Wirtsgestein können die Gasdrücke bei entsprechender Gasbildung den Gebirgsdruck überschreiten“. Im schlimmsten Fall muss man sich also nicht mehr mit der Sorge um eine Kontaminierung des Grundwassers belasten, denn gegenüber der Explosion des Bergwerks wirkt diese Gefahr eher nebensächlich.

All diese seit langem bekannten Risiken lassen selbst Professor Wernt Brewitz von der Gesellschaft für Reaktorsicherheit in Braunschweig, der als Mitglied des Arbeitskreises Auswahlverfahren Endlagerstandort (AkEnd) eigentlich mit der Bestätigung der Sicherheit von endgültigen Lagerstätten betraut ist, am Vorgehen in der Asse zweifeln: „Lagerung von schwach- und mittelradioaktivem Müll in Salzstöcken ist kontraproduktiv. Diese Abfälle sind in Zement verpackt und dieser enthält genügend Wasser, um Gasbildung zu ermöglichen (...). Deshalb bin ich gegen die Einlagerung dieser Art Abfall in Salzstöcken oder Salzschichten“.

In Anbetracht dieser Tatsachen – selbst der bereits zitierte Jahresbericht der GSF räumt die Unbestimmbarkeit der "Einhaltung des radiologischen Schutzzieles" ein – kann es für Professor Betram nur eine vertretbare Konsequenz geben: Der Müll muss wieder raus, egal wie lange es dauert und egal, was es kostet. Die Asse darf auf keinen Fall endgültig verschlossen werden, so wie überhaupt niemals eine irreversible Lösung angestrebt werden darf. Ohne die Möglichkeit, im Notfall eingreifen zu können, wird die Lagerung von Atommüll zum Vabanquespiel. Für das Vorgehen der GSF in der Asse findet der Physiker klare Worte: „Das ist entweder Wahnsinn oder ein Verbrechen!“.

Johannes Kaufmann

Hier geht's zum Erfahrungs- und Photobericht des Autors zu einer Führung durch die Asse.

Links zum Thema:

Homepage des Asse-Forschungsinstituts der GSF: http://www0.gsf.de/asse/

Homepage der RSK: http://www.rskonline.de/
 
Informationen rund um Kernenergie: www.kernenergie.de