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Kategorie Im Gespräch mit...
Ausgabe SoSe06 - 2
Autor Johannes Gütschow

Im Gespräch mit Prof. Hesselbach

Zur Person:


Jürgen Hesselbach ist seit 1990 Professor an der TU Braunschweig und leitet das Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik. Seit Anfang 2005 ist er Präsident der TU Braunschweig. BUZe sprach Ende Juni mit ihm über Bildungspolitik und die TU Braunschweig.

Interview:

BUZe: Sie hatten sich schon zu Beginn ihrer Amtszeit viel vorgenommen. Jetzt sind sie eineinhalb Jahre im Amt. Welche ihrer Ziele haben sie erreicht?

Hesselbach: Eine wesentliche Aussage meines Programms waren, dass wir diese Hochschule in Forschung und Lehre wettbewerbsfähig aufstellen müssen. Als Voraussetzung dafür muss die Situation dieser Hochschule analysiert werden. Das haben wir durch die Auswertung der Forschungsevaluation und Leistungsdaten getan und dabei die Stärken dieser Universität herausarbeiten können. Wir haben fünf Forschungsfelder identifiziert, in denen wir uns interdisziplinär weiterentwickeln wollen.
Ein weiteres fast abgeschlossenes Projekt ist die Reorganisation der Hochschulstruktur. Es wird weniger Fakultäten, nämlich sechs, geben. Damit haben wir den Rahmen geschaffen, um die Fächer neu auszurichten. In den nächsten fünf Jahren werden 40 Prozent unserer Professorinnen und Professoren neu berufen. Jetzt können wir diese Hochschule neu gestalten - oder missgestalten.
Auf akademischer Seite haben wir eine ganze Reihe an weiteren Projekten angezettelt, beispielsweise die Studierendendatenverwaltung, die leistungsbezogene Mittelvergabe, die Neustrukturierung der IT-Landschaft und die Qualitätssicherung in Berufungsverfahren. Zur erwähnten Situationsanalyse gehört auch die Umfrage unter den Studierenden. Wir haben alle Studierende über ihre Zufriedenheit mit der Hochschule, einzelnen Einrichtungen, dem Lehrangebot, den Professoren, Studiengebühren etc. befragt. Es ist spannend, herauszufinden, wie wir die Zufriedenheit der Studierenden erhöhen können. Am Campus Nord ist es beispielsweise wichtig, eine Cafeteria einzurichten.
Insgesamt haben wir eine sehr solide Situationsanalyse im akademischen Bereich, bei unseren Studierenden und den Abnehmern von außen. Wir wissen, wo wir stehen und können die TU unter den sich verändernden Randbedingungen weiterentwickeln.
Selbstkritisch muss ich sagen, dass wir natürlich eine ganze Menge Projekte zeitgleich angefangen haben. Bevor wir neue Projekte anzufangen, müssen wir die laufenden zu einem befriedigenden Ende bringen. Es wäre mir natürlich lieber, wenn wir schon weiter wären, aber Veränderungsprozesse rufen einen gewissen Widerstand hervor, mit dem man sich auseinander setzen muss.

BUZe: Hätten sie erwartet, dass die Umstrukturierung schneller geht?

Hesselbach: Als ich die Entscheidung getroffen habe, für die Präsidentschaft zu kandidieren, habe ich die Tätigkeit als Institutsleiter mit der Tätigkeit als Präsident verglichen. Ich habe dazu den Begriff der Steuerbarkeit, also der Frage, was man in ein System hineinstecken muss, damit am Ende das Gewünschte herauskommt, aus der Regelungstechnik verwendet. Die Steuerbarkeit eines Instituts ist sehr hoch, man erreicht mit relativ wenig Input maximale Effekte. Mir war aber bewusst, dass das in einem Apparat, den der Kollege Kern aus Göttingen einmal mit „organisierter Anarchie“ beschrieben hat, beliebig viel schwerer ist.

BUZe: Im Prinzip ist die Hochschule ja einigermaßen demokratisch aufgebaut, so dass sie ihre Pläne erst einmal dem Senat vorlegen und ihn überzeugen müssen, dass sie auf dem richtigen Weg sind.

Hesselbach: So ganz stimmt das nicht mehr, das Gesetz hat dem Präsidium wesentlich mehr Kompetenzen gegeben. An sich entscheidet das Präsidium über die Ressourcenzuteilung. Das Präsidium könnte also vieles ohne Rückkopplung in die Fächer beschließen, wäre damit aber schlecht beraten. Deshalb versuche ich eine Rückkopplung über die Gremien zu erreichen. Für solche strukturellen Überlegungen haben wir eine Planungskommission an der TU, in der sowohl die Statusgruppen, als auch die verschiedenen Fächer vertreten sind. Ich muss sagen, dass wir in der PK sehr konstruktiv arbeiten. Auch die Studierenden arbeiten sehr konstruktiv und mit guten Ideen mit.

BUZe: Sie haben gerade gesagt, es gibt fünf Kernbereiche in der Forschung. Sie hätten auch gerne fünf Fakultäten, gibt es da einen Zusammenhang?

Hesselbach: Nein, gar nicht, das ist ein reiner Zufall. Die größeren Fakultäten werden aus zwei Gründen gebildet. Einerseits müssen sie genügend kritische Masse für die Neuausrichtung haben, das ist bei größeren Fakultäten einfacher. Andererseits möchte ich die Dekane in Zukunft nach dem Modell der erweiterten Hochschulleitung der TU München stärker in die Arbeit des Präsidiums einbinden. Das ist mit fünf oder sechs Dekanen einfacher, als mit zehn.
Die Forschungsbereiche, sind nicht unbedingt einer Fakultät zuzuordnen, sondern interdisziplinär. Das muss auch so sein, denn ich glaube, dass spannende Forschung und Entwicklung in Zukunft an den Schnittstellen passiert.

BUZe: Sie haben schon oft die fünf Forschungsbereiche erwähnt, welche sind das genau?

Hesselbach: Mobilität und Verkehr, Kommunikation und Informationstechnik, Micro- und Nanoproduktion, Lebenswissenschaften, Bauen und Umwelt.

BUZe: Sie hatten eben die Widerstände bei der Umstrukturierung erwähnt. In den Geistes- und Sozialwissenschaften gibt es neue Studiengänge, in denen viel Wert auf Technik und Wirtschaft gelegt wird. Beispiele sind die neuen Masterstudiengänge „Kultur der technisch-wissenschaftlichen Welt“ und „Organisationskulturen und Wissenstransfer“. In den Sozialwissenschaften gibt es nur noch den Bachelor Studiengang „Integrierte Sozialwissenschaften“, der neben Politik und Soziologie Elemente der Wirtschaftswissenschaften enthält. Werden die Geistes- und Sozialwissenschaften als Dienstleister für technische und wirtschaftliche Bereiche ausgerichtet?

Hesselbach: In der Tat haben die Sozialwissenschaften einen Dienstleistungscharakter, aber nicht nur in Richtung der Ingenieurs- und Naturwissenschaften, sondern auch in Richtung der Geistes- und Erziehungswissenschaften. In reinen Dienstleistungsfächern hat man ein Problem, genügend gute Leute und wissenschaftlichen Nachwuchs zu gewinnen. Deshalb haben wir uns entschieden die Lehrenden auch an einem eigenständigen Studienangebot zu beteiligen. Da wir nicht die kritische Masse haben, um ein seriöses Masterprogramm in den klassischen Sozialwissenschaften anbieten zu können, gibt es die interdisziplinären Studiengänge. Ähnliches gilt auch für die Geisteswissenschaften. Wir können in den geisteswissenschaftlichen Fächern nicht mit etablierten Standorten wie Tübingen oder Freiburg konkurrieren. Wir können sie aber im Kontext der Technischen Universität aufstellen und stärker einbinden. Damit bringen wir auch die Randständigkeit und die Diskussion über die Sinnhaftigkeit eines geisteswissenschaftlichen Angebots an der TU zu einem Ende. Diese interdisziplinäre Aufstellung im Kontext der Technischen Universität finde ich gelungen. Die Studiengänge bleiben zwar primär geistes- beziehungsweise sozialwissenschaftlich, werden aber interdisziplinär angereichert, damit ein attraktives Angebot entsteht. Bisher wurde immer von den Ingenieuren und Naturwissenschaftlern gefordert, Veranstaltungen aus dem Geisteswissenschaftlichen und Sozialwissenschaftlichen Bereich besuchen. Wir machen das jetzt anders herum. Ich bin gespannt, wie dieses Experiment funktionieren wird.

BUZe: Eine letzte Frage zum Thema Umstrukturierungen: Welche weiteren Pläne haben sie noch?

Hesselbach: Nach Abschluss der Fakultätsumorganisation, ist das Wichtigste, dass die Fakultäten eine Entwicklungsplanung vorlegen. Nur neue Kästchen zu malen ist ja uninteressant, jetzt geht es an die Inhalte, also die Neuausrichtung freiwerdender Professuren.

BUZe: Und nun zum nächsten Thema: Studiengebühren. Die staatliche Finanzierung der Hochschulen wird immer weiter gesenkt. Nicht nur die direkte Finanzierung durch das Land, sondern auch Leistungen des Bundes, wie der Hochschulbau, werden gekürzt. Sehen sie in den eingeführten Studiengebühren einen Ausweg aus der Unterfinanzierung der Hochschulen?

Hesselbach: Ich glaube nicht, dass man mit Studiengebühren fundamental die Unterfinanzierung der Hochschulen löst. Es ist ein Beitrag. Wenn es gelingt – ganz habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben – durch Studiengebühren einen Mehrwert für die Studierenden zu erreichen, dann können sie sogar attraktiv werden. Eines unserer größten Probleme ist aber das Bauproblem, und das kann man nicht mit 500€ pro Studierendem lösen. Ein paar Sachen kann man mit Studiengebühren aber schon verbessern, beispielsweise die Hörsaalausstattung oder die Betreuungsrelation. Wir wollen die Studierenden in die Entscheidung über die Vergabe der Mittel einbinden und sie arbeiten auch mit. Was mir aber immer wieder Sorgen macht, ist die Entwicklung der staatlichen Finanzen in Niedersachsen. Ich kann ich mir nicht vorstellen, dass die Diskussion um die Finanzierung der Hochschulen schon beendet ist. Da kann man sich schon fragen, ob es bei den 500€ bleibt.

BUZe: Die Regelung zu Langzeitstudiengebühren bzw. Studienguthaben hat sich auch geändert. Viele Studierende, die nach der alten Regelung ihr Studienguthaben aufgrund von Gremienarbeit oder Urlaubssemestern noch nicht verbraucht hatten, müssen jetzt auf einmal Zahlen. Was halten sie davon?

Hesselbach: Da muss etwas schief gelaufen sein. Meiner Meinung nach müssen die Studierenden Vertrauensschutz haben. Wir würden sonst auch kaum Studierende dazu gewinnen, sich in der akademischen Selbstverwaltung zu engagieren – das wird in Zukunft sowieso schon schwieriger werden, denke ich.

BUZe: Als Hochschulpräsident sehen sie die zusätzlichen Einnahmen aus Studiengebühren gerne. Was halten sie als Privatperson bzw. als Familienvater von Studiengebühren?

Hesselabch: Studiengebühren allein wären kein Thema, der Präsident würde überwiegen. Wirkliche Sorgen macht es mir, dass die Politik nicht im Gesamtsystem denkt, und das müsste sie meiner Meinung nach. Man kann nicht mit beliebig vielen Einzelmaßnahmen gezielt eine Gruppe - die Familien mit Kindern - belasten. Ich habe auch schon zu Beginn der Diskussion um Studiengebühren gesagt, dass ich befürchte, dass sie vor allem eine Schicht treffen werden - die mit mittleren Einkommen. Fatal ist auch, dass es keine Übergangsfristen und keinen Bestandsschutz gibt. Es kann einfach nicht sein, dass Familien in eine Situation kommen, in der sie es sich nicht mehr leisten können, ihre Kinder studieren zu lassen. Und da, muss ich sagen, wird der Privatmann Hesselbach irgendwann sorgenvoll.

BUZe: In Deutschland sind die meisten sozialen Sicherungssysteme beitragsfinanziert und haben das Äquivalenzprinzip als Leitbild. Dadurch haben sie weniger Umverteilung als steuerfinanzierte Sozialsysteme. Was halten sie davon?

Hesselbach: Die Steuerfinanzierung halte ich für gar nicht so schlecht. Die Idee ist ja, nicht nur die Erwerbseinkommen zu belasten. Der Anteil der Steuereinnahmen aus Erwerbseinkommen ist inzwischen geringer als der aus anderen Einkommensarten. Ich finde es konsequent, auch die Nichterwerbseinkommen, also beispielsweise Kapitalerträge, zur Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme heranzuziehen. Der Beamte Hesselbach müsste natürlich zusätzlich zahlen, da ich ja im Moment privat versichert bin, aber damit könnte ich leben.

BUZe: Eine letzte Frage: Wie stellen sie sich die ideale Hochschule vor und was wäre ihre Aufgabe in der Gesellschaft?

Hesselbach: Die ideale Hochschule gibt es gar nicht, da es unterschiedliche Ziele gibt. Einerseits brauchen wir mehr akademisch ausgebildete Menschen für den Arbeitsmarkt, andererseits brauchen wir aber auch mehr Spitzenleute. Im Prinzip braucht man also ein differenziertes Hochschulsystem, das sowohl die Breitenausbildung leistet, als auch Hochschulen mit Spitzenforschung fördert. Unsere TU stelle ich mir dabei als eine Kombination aus beidem vor. Wir haben Fächer, die ich eher forschungsorientiert sehe und Fächer, wie beispielsweise Lehramt Grund-, Haupt- und Realschule, in denen es um eine gute Ausbildung geht. Grundschullehrer vorwiegend in Richtung Forschung auszubilden wäre nicht sinnvoll. Selbstverständlich würde ich mir die ideale Hochschule auch so vorstellen, dass sie in der Lage ist, mit ihren Ressourcen effektiv umzugehen. Und was ich mir wünsche, wenn wir noch mal bei Visionen oder Utopien – ich will nicht sagen Illusionen - bleiben, ist, dass man ernsthaft über den Stellenwert, den Bildung und Ausbildung in unserer Gesellschaft haben, spricht. Es geht nicht nur um die Universität, sondern um Bildung generell. Es gibt in diesem Gebiet einen großen Handlungsbedarf und starke Defizite. Darüber mache ich mir viel mehr Sorgen, als über die Probleme an den Hochschulen. Die Politiker reden immer nur, es müssten aber Konsequenzen gezogen werden; trotz der finanziellen Situation, in der Bund, Länder und natürlich auch Kommunen sind. Dazu muss die Hochschule auch öffentlich Stellung nehmen. Die Hochschule hat einen Ausbildungsauftrag, einen Bildungsauftrag, aber darüber hinaus auch einen Auftrag, sich zu Bildungs- und Ausbildungsfragen zu äußern und zu sagen, wo wir die Missstände, die Probleme sehen.

BUZe: Wie sehen sie denn in diesem Zusammenhang die Studierendenschaft bzw. deren gewählte Organe? Sollten die auch eine Stimme in der Gesellschaft haben und ihre Meinung zur Allgemeinpolitik äußern?

Hesselbach: Da sind wir natürlich wieder beim allgemeinpolitischen Mandat der Studierendenschaft. Ich habe immer die Position vertreten, auch bei der Novelle des niedersächsischen Hochschulgesetzes, dass ich mit dem politischen Mandat der Studierendenschaft gut leben kann. Es bietet eine Plattform für politisches Engagement von Studierenden und das ist ja erwünscht. Ich habe auch kein Problem damit, wenn sich ein AStA zu allgemeinpolitischen Fragen äußert.

BUZe: Vielen Dank für das Gespräch.