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Ausgabe SoSe06 - 1
Autor Fabio Reinhardt

Hegemonie in der Weltgeschichte - Ein Gespräch mit Professor Menzel über sein neues, großes Werk

Ulrich Menzel ist seit 1993 Professor für internationale Beziehungen und vergleichende Regierungslehre an der TU Braunschweig. Seit 1990 sind bereits etwa ein Dutzend seiner Bücher bei Suhrkamp erschienen. BUZe traf Professor Menzel im März, um mit ihm über sein neues Buch „Hegemonie in der Weltgesellschaft“ zu sprechen.


BUZe: Herr Menzel, Sie arbeiten seit geraumer Zeit an Ihrem neuen Buch. Wie weit sind Sie bisher?

 

Menzel: Durch die Umstellung auf die neuen Studiengänge und den (erfolgreichen) Kampf für den Erhalt des Instituts ist meine Arbeit, die schon seit 5 Jahren geplant war, mehrfach zurückgeworfen worden. Mittlerweile bin ich mit 400 Seiten Umfang Manuskript etwa halbfertig. Ich vermute auch, dass dies mein letztes und größtes Buch, quasi mein Hauptwerk, wird.

BUZe: Wird es ein Kompendium bisher existierender Werke? Zwei Kapitel zu dem Thema gab es ja schon in Ihrem Buch „Paradoxien der neuen Weltordnung“ ?

Menzel: Nein, es wird etwas grundsätzlich Neues. In den Paradoxien habe ich das Thema nur auf theoretischer Basis angerissen. Die ausführliche Ausarbeitung inklusive des empirischen Hintergrunds kommt nun.

BUZe: Erzählen Sie uns doch bitte etwas zum Inhalt des Buches.

Menzel: Die zugrundeliegende Idee ist folgende: Während des Kalten Krieges bis 1990 war in der internationalen Politik das realistische Paradigma vorherrschend. Danach für eine kurze Zeit lang das idealistische.

Das realistische Paradigma besagt, dass die Staaten ihre äußeren Konflikte am besten durch das Selbsthilfeprinzip regeln können. Derjenige kann sich am besten selbst helfen, der über die größten Machtmittel verfügt. Bei der Frage von Krieg und Frieden liefe es dementsprechend auf die Frage nach dem größten Rüstungspotential hinaus – wobei dem Militär nicht mehr die Aufgabe zugewiesen würde, Kriege zu führen, sondern Kriege zu verhindern. Stichwort Abschreckungspolitik, Militärbündnisse usw. Da beide Seiten im Ost-West-Konflikt nach der gleichen Logik vorgingen, führte dieses zu der bekannten Blocksituation.

1990, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, dachte man dann eine kurze Zeit lang, die Zeit ist reif für das idealistische Paradigma. Anstatt Konfrontation, Aufrüstung, Abschreckungslogik usw. sollte jetzt die weltweite Demokratisierung und das friedliche Miteinander der Staaten folgen. Man erwartete die Durchsetzung der Menschenrechte und den Wohlstand der Nationen. Stichwort: Multilateralismus und die Vereinten Nationen als Inhaber des internationalen Gewaltmonopols.

Es stellte sich allerdings schnell heraus, dass die Welt nicht friedfertiger wurde. An die Stelle des Kalten Krieges traten viele kleine Kriege. In dieser neuen Situation sind nun die USA aber auch andere Staaten nicht bereit, leichtfertig Kompetenzen abzugeben und sich den VN unterzuordnen. Unilateralismus statt Multilateralismus herrscht vor. Der Mächtigste bestimmt. Das nennt man eine hegemoniale Weltordnung.

Was ich versuche, ist durch Analyse historischer Fälle, der letzten tausend Jahre, zu untersuchen, ob der aktuelle hegemoniale Anspruch der USA ein ganz altes Muster ist, welches immer wieder periodisch auftaucht, um die Probleme dieser Welt zu lösen.

BUZe: Diese Möglichkeit taucht ja in den „Paradoxien“ schon als These auf ...

Menzel: ...aber ohne die Aufarbeitung. Es wird in meinem Buch ca. 15 Kapitel über China, in dessen Geschichte ich zum Teil auch sehr weit zurück gehe, über das Mongolenreich, das Osmanische Reich, die Niederländer, Portugiesen, Spanier, Engländer bis eben zu dem letzten Kapitel über die USA geben. Ein Ausblick wird sich dann noch mit China als einem möglichen Comeback als hegemonialem Herausforderer beschäftigen.

Das Interesse wird dabei nicht nur sein, zu sehen, ob es Hegemoniekonstellationen gab, sondern auch nach dem Wie zu fragen. Hat die Hegemonialmacht nur ihre eigenen Interessen verfolgt, oder wurden damals Weltordnungen errichtet, an denen auch andere teilnehmen konnten. Die dazugehörige Theorie ist die der internationalen öffentlichen Güter. Das grundsätzliche Problem, das dahintersteht, ist die Frage des staatlichen Gewaltmonopols, das es nur im nationalen Rahmen gibt: Dort ist der Staat zuständig für die innere Sicherheit, den Schutz des Eigentums, funktionierende Märkte, Zahlungsmittel, Bildungssystem usw. Jeder kommt in den Genuss davon und muss lediglich seine Steuern zahlen.

BUZe: Und im internationalen Rahmen?

Menzel: Da ist es anders: Es gibt kein internationales Gewaltmonopol, das über den Staaten steht, aber sehr wohl einen Bedarf nach internationalen öffentlichen Gütern wie Frieden, einer stabilen Weltwirtschaft, einem internationalem Zahlungsmittel und der Sicherheit der Meere. Die Theorie sagt, dass dies am besten eine Hegemonialmacht leisten kann. Ich will außerdem herausfinden, wer in der Geschichte der Nutznießer dieser Mächte war. Im aktuellen Bezug: Ist das Handeln der USA lediglich im eigenen amerikanischen Interesse, oder ist es tatsächlich für andere von Vorteil? Außerdem: Was sind die Alternativen?

BUZe: Werden Sie sich also auch oder gerade auf Phasen der Weltgeschichte konzentrieren, in denen es keinen Hegemon gab?

Menzel: Genau. Da steht dann die spannende Frage im Raum: Was war denn da eigentlich los? Außerdem ist für mich interessant, wie eine Macht ihre Hegemonialposition verliert und eine neue Macht diese einnimmt. Wie funktioniert dieser Ablösevorgang ? Dabei werde ich auch Prognosen für die Zukunft treffen.

BUZe: Und wie lautet Ihre Prognose da?

Menzel: Wenn meine Theorie stimmt, müsste China die nächste Hegemonialmacht werden.

BUZe: Durch ihre aktuelle Betätigung als Free Rider, also als Nutznießer der Privilegien?

Menzel: Ja, es gibt da viele Hinweise, wie die Kontroverse um den Schutz geistigen Eigentums oder die Hinhaltetaktik der USA gegenüber Chinas WTO-Beitritt, die uns einen kleinen Vorgeschmack auf Kommendes liefern.

 

 

BUZe: Noch einmal zurück zur Frage nach dem Nutzen für die Weltgemeinschaft.


Menzel: Was ich dazu jetzt schon sagen kann ist, dass wenn es eine Hegemonialsituation gab, immer eine Phase relativen Friedens herrschte und die Weltwirtschaft florierte. Beispiel Pax Romana, Pax Mongolica. Das Gegenteil war der Fall in Phasen ohne hegemoniale Führungsmacht. Aus der Perspektive der Globalisierung betrachtet: Wenn es ein stabiles internationales System gab, hat die Globalisierung immer auch einen Schub bekommen. Wenn nicht war sie eher rückläufig. Da besteht anscheinend ein Zusammenhang. Auch in der internationalen Debatte ist die eine Seite der Meinung, dass es bei internationalen Konflikten durchaus von Vorteil ist, wenn es eine starke Ordnungsmacht gibt.


BUZe: Existiert diese Debatte denn lediglich auf theoretischer oder auch auf politischer Ebene?


Menzel: Durchaus auf beiden Ebenen. Bei dem Konflikt im Vorfeld des Irakkrieges ging es genau um diese Frage. Setzt man nun eher auf die VN-Karte mit Inspektoren und Kontrollen oder auf die militärische. Europäischer Multilateralismus vs. Amerikanischen Unilateralismus. Weitere Beispiele sind das Kyoto-Protokoll und der internationale Strafgerichtshof. Es gibt immer ein paar Länder, wie China und die USA, die da nicht mitmachen wollen. Eine Frage, die dabei aufgeworfen wurde, ist allerdings, ob die USA einen hegemonialen oder sogar einen imperialen Anspruch verfolgen...

BUZe: ...durch den von Ihnen so apostrophierten „Einmann-Think Tank“ Herfried Münkler. Sie hatten ja in Ihrer Rezension zu Münklers Buch noch einiges in eigener Sache geschrieben. Dabei zum Beispiel der landläufigen Meinung widersprochen, die Irakinvasion sei lediglich aus amerikanischer Ölgier motiviert.

Menzel: Sicherlich kann das Öl auch eine Rolle spielen. Es gibt ja nie eine Konstellation, in der es nur einen einzigen Grund gibt. Öl ist natürlich auch ein öffentliches Gut. Alle partizipieren daran, vor allen Dingen die Länder, die kein eigenes Öl haben, wie Deutschland, Japan usw. Solange ein großer Teil des Weltölmarktes durch die Anrainerstaaten des persischen Golfs bedient wird, ist natürlich jede militärische Intervention in der Region immer auch von der Ölfrage mitmotiviert. Daran besteht kein Zweifel.

BUZe: Auch im Interesse der Länder also, die den Krieg ablehnen.

Menzel: Genau.

BUZe: Inwiefern könnte man sagen, dass Ihr Buch auf dem von Herfried Münkler aufbauen wird?

Menzel: Von aufbauen kann gar keine Rede sein. Ich habe ja einen ganz anderen methodischen Ansatz. Münkler kommt aus der politischen Ideengeschichte. Das heißt, er setzt sich damit auseinander, was bereits die antiken Autoren wie Thukydides zu der Thematik geschrieben haben. Er argumentiert also sehr stark ideengeschichtlich und theoretisch während ich einen empirischen Ansatz habe, Fallstudien betreibe, historische Fälle analysiere und komparativ vorgehe. Daraus versuche ich dann Erkenntnisse für die Gegenwart zu ziehen. Außerdem neigt Münkler dem Paradigma der imperialen Ordnung zu. Und kann man aus dem Buch Münklers durchaus auch eine Legitimation für Militärinterventionen ziehen. Insgesamt muss ich sagen, dass Münkler etwas zu schnell vorgegangen ist. Er hätte in dieses Riesenthema mehr Zeit investieren müssen und auch ruhig etwas empirischer vorgehen sollen. Man muss schon über ein sehr umfassendes, theoretisches und methodisches Wissen verfügen und auch sehr viel geschrieben haben. Vor 20 Jahren hätte ich so ein Werk gar nicht verfassen können. In 10 Jahren könnte ich es vermutlich auch nicht mehr tun. Irgendwann lässt die Schaffenskraft nach. Aber jetzt ist gerade der richtige Zeitpunkt für mich.

BUZe: Für wen sind Ihre Bücher eigentlich konzipiert?

Menzel: Das ist eine gute Frage, die ich mir am Anfang gar nicht gestellt habe. Ich unterscheide natürlich, ob ich einen Text schreibe, der eher an eine breitere Öffentlichkeit, wie zum Beispiel bei einer Zeitung, adressiert ist. Dann bemühe ich mich, eher allgemeinverständlich zu schreiben. Wenn ich jedoch einen wissenschaftlichen Text schreibe so wie jetzt, richte ich mich zuerst an meine Kollegen in der Fachwelt, Leute, die nahezu genausoviel oder sogar noch mehr zu dem Thema wissen. Ich versuche, ihre Einwände zu erahnen und gleich zu berücksichtigen. Manchmal übe ich auch implizite Kritik an Werken anderer Autoren. Eines meiner Bücher, „Zwischen Realismus und Idealismus“ (Literaturtip), ist aus einer Vorlesung heraus erschienen und richtet sich speziell an Politikstudenten. Es ist auch ein bisschen wie ein Lehrbuch verfasst.

Mein neues Buch richtet sich eher an eine breitere, politisch oder historisch interessierte Öffentlichkeit, die verstehen möchte, was sich seit dem Ende des Ost-West-Konflikts geändert hat, an Leute, die das noch miterlebt haben. Außerdem habe ich meinen Verlagslektor, der mich mäßigt, wenn ich zu kompliziert schreibe. Suhrkamp will ja ein möglichst breites Publikum erreichen.

BUZe: Was für einen Aspekt spielen die Veranstaltungen, die Sie begleitend zu dem jeweiligen Thema abhalten?

Menzel: Einen ungemein wichtigen. Die Fragen, Seminardiskussionen und Referate zwingen mich dazu, über Neues nachzudenken und Argumente zu präzisieren. Wenn wirklich an der Forderung nach der Einheit von Forschung und Lehre etwas dran ist, dann muss sich das an dieser Stelle beweisen. Synergieeffekte nennt man das. Ich wäre auch dumm, diese Möglichkeit nicht zu nutzen.

BUZe: Können Sie schon eine ungefähre Prognose abgeben, wie lange es noch dauern wird, bis Ihr Buch im Handel zu kaufen sein wird?

Menzel: Ich habe schon mehrmals Prognosen abgegeben, die ich immer wieder korrigieren musste. Halbfertig ist das Buch und im Kopf ist die andere Hälfte eigentlich auch schon fertig. Ich sage mal ganz vorsichtig, etwa ein bis zwei Jahre.

BUZe: Herr Menzel, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Fabio Reinhardt



Literaturtipps:


* Menzel, Ulrich: Paradoxien der neuen Weltordung. Politische Essays, Frankfurt 2004

* Münkler, Herfried: Imperien, Berlin 2005

* Professor Menzels Rezension von Müklers Imperien ist auf seiner Webseite zu finden.

* Menzel, Ulrich: Zwischen Idealismus und Realismus, Die Lehre von den internationalen Beziehungen, Frankfurt 2001