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Kategorie Aus den Fakultäten
Ausgabe SoSe08 - 9
Autor Fabio Reinhardt

Integration ist ein aktiver Prozess - Ein Gespräch mit Mitarbeitern des International Office

Toleranz ist ein oft geforderter Wert. Besonders wichtig wird er, wenn Menschen aus unterschiedlichen Nationen und Kulturen aufeinander treffen. Wenn dies in Deutschland geschieht, wird meist nicht nur Toleranz von Seiten der Deutschen gefordert, sondern auch ein Mindestmaß an Bereitschaft zur Integration von Seiten der Ausländer. Doch was bedeutet eigentlich Integration? Anpassung? Wohlbefinden? Das Thema ist äußerst komplex und aufgeladen mit den absurdesten Ideen und jeder Menge Emotionen. Von Bedeutung ist es aber nicht nur auf nationaler Ebene, sondern schon direkt vor Ort an unseren Braunschweiger Hochschulen. An der TU liegt der Anteil ausländischer Studierender bei 11,4 Prozent. Was läge da näher, als an dem Ort nachzufragen, den viele internationale Studierende nach dem Bahnhof als erstes zu Gesicht bekommen – dem International Office? Tanja Filipp, zuständig für das Bewerbungsverfahren internationaler Studierender und Dr. Astrid Sebastian, Chefin des International Office waren so nett, unsere Fragen zu beantworten.


BUZe: Was bedeutet das Thema Integration für das International Office? Was bedeutet es aus Ihrer Sicht für die ausländischen Studierenden an der TU? Wie verhalten sich die beiden Begriffe Integration und Anpassung zueinander? Gibt es Schnittmengen? Sind sie gar identisch?

Tanja Filipp: Nein, die Begriffe sind nicht identisch. Übersetzt heißt Integration zuerst einmal 'Herstellung eines Ganzen'. Die Stadt Braunschweig hat zum Beispiel ein großes Integrationsforum gestartet, für das formuliert wurde, es gehe darum, dass Menschen aus verschiedenen Kulturen und Nationen so in die Aufnahmegesellschaft eingebunden sind, dass sie in einem funktionierenden Austausch sind und ein soziales Netz haben. Für uns ist es des Weiteren ein wichtiger Indikator für den Studienerfolg. Ist jemand integriert, dann ist er in der Lage, die Informationen über sein Studium zu bekommen und sich in ausreichendem Maße auszudrücken. Integration ist ein aktiver Prozess. Er muss immer von beiden Seiten aus geschehen und muss von den zu Integrierenden auch gewollt sein.

BUZe: Sie haben gesagt, Integration bedeute soziale Strukturen aufzubauen und Anschluss zu finden. Wie gelingt das beim CSE (Computational Sciences and Engineering)? Da liegt die Ausländerquote ja bei über 90 Prozent. Ist es da nicht zu leicht, soziale Strukturen aufzubauen, ohne jemals einen Deutschen kennenzulernen?

Tanja Filipp: Das ist mit Sicherheit ein Problem. Integration im Rahmen der TU heißt Integration innerhalb der Studierendengemeinschaft, aber auch im ganz normalen Alltagsleben. Das bedeutet, dass man in der Lage sein muss, mit der Krankenkasse allein zu sprechen, alleine einzukaufen und sich einen Freundskreis aufzubauen.

BUZe: Was bedeutet das Thema Sprache dabei?

Tanja Filipp: Die ist dafür sehr wichtig. Bei unserem internationalen CSE [der auf Englisch unterrichtet wird, Anm. der Red.] ist das zum Beispiel problematisch. Denn Sprache ist vor allem für das Private sehr wichtig; in den anderen Kursen aber natürlich auch für den Studienerfolg. Die meisten internationalen Abbrecher scheitern, weil sie sprachliche Probleme haben. In den alten Studiengängen war das noch weniger problematisch, da man mal ein Semester zum Erlernen der Sprache nutzen konnte. Das ist heute schon schwieriger.

BUZe: Sind für diesen Zeitdruck auch die Studiengebühren mit verantwortlich?

Tanja Filipp: Ganz eindeutig. Die Beiträge sind ja auch von ausländischen Studierenden zu bezahlen, sofern sie nicht freigestellt sind. Daher sind sie ein wichtiger neuer Kostenfaktor. Viele ausländische Studierende sagen sich: ‚Lieber ein Jahr früher fertig werden, weil ich das Geld nicht aufbringen kann’. Und es gibt bei uns verstärkt Anfragen von Studierenden, die die Beiträge nicht bezahlen. Ausländische Studierende haben gegenüber Inländern aber noch weiteren finanziellen Druck: Sie müssen, um ihre Aufenthaltsgenehmigung von der Ausländerbehörde ausgestellt zu bekommen, ein gewisses Monatseinkommen vorweisen können. Das sind aktuell 585 Euro. Dieses Geld muss auf irgendeine Weise nachweisbar für ein Jahr verfügbar sein. Wenn jemand zum Beispiel aus dem Iran kommt, kann das Geld nicht regelmäßig überwiesen werden. Dann ist ein sogenanntes Sperrkonto erforderlich, auf dem der im Jahr nachzuweisende Betrag eingezahlt werden muss. Für manche ist das mehr Geld, als sie eigentlich zum Leben benötigen. Sie müssen diesen Betrag jedoch trotzdem vorweisen können.

Dr. Astrid Sebastian: Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber auch das neue Zuwanderungsgesetz, welches Ausländern das Einreisen sehr erschwert. Früher musste man nachweisen, dass man eine Finanzierung hat. Jetzt muss man nachweisen, dass das Geld bereits vorher zur Verfügung steht. Das Geld für ein Jahr, die Kaution für die Wohnung, die Studiengebühren: eigentlich muss man jemanden mit 10.000 Euro ausstatten, damit er hier zu studieren anfangen kann. Dadurch und auch durch die Studiengebühren sind die Zahlen internationaler Studierender drastisch gesunken.

BUZe: Haben sie denn einen Bedarf gesehen, dieses Gesetz zu verschärfen?

Dr. Astrid Sebastian: Es gibt da konkurrierende Ansichten. Für die Ausländerbehörde geht es immer um Sicherheit. Denn betroffen sind alle, nicht nur die Studierenden. Aber es werden alle über einen Kamm geschoren. Wir hier sind wirklich auf die Ausländer angewiesen. Für die Ausländerbehörde steht aber natürlich der Sicherheitsaspekt im Vordergrund.

BUZe: Bitte erklären sie, welche Rolle das International Office für die Integration an der TU spielt.

Tanja Filipp: Es werden Strukturen aufgebaut, die es Studierenden ermöglichen, sich besser zu integrieren. Das IO selbst bietet zu Beginn jedes Semesters den Welcome Point an, unsere Start- und Immatrikulationsphase. Dazu gibt es noch das Patenprogramm, bei dem deutsche Studierende ausländische betreuen. Die Teilnehmer machen da sehr positive Erfahrungen; trotzdem können wir noch gut weitere Freiwillige gebrauchen.

Und dann gibt es noch „Study für Success“. Dort gibt es für jedes Fach einen Tutor, der Beratungsangebote macht, den internationalen Studierenden bei der Erstellung des Stundenplans hilft, mit in Sprechstunden geht usw. Dieses Programm soll zum Wintersemester neu aufgelegt werden, so dass es bereits an die Anforderungen der Erstsemester angepasst wird. Davon versprechen wir uns ein besseres Betreuungsangebot und die Behebung von Problemen, bevor es zu spät ist oder bevor sie überhaupt auftreten. Für Integrationsangebote wichtig ist auch das ISN [International Student Network], welches dazu jedes Semester ein umfangreiches Programm herausbringt.

BUZe: Gibt es dabei auch Probleme?

Tanja Filipp: Besonders schwierig ist es, bestimmte Ländergruppen zu erreichen. Manche Studierende sind für uns schlechter erreichbar, weil Hemmschwellen oder Hürden da sind oder teilweise Schamgefühle ausgelöst werden, die man aus deutscher Sicht so gar nicht kennt. In manchen Kulturen wie den asiatischen ist es üblich, nach außen hin einen zufriedenen und sorgenfreien Eindruck zu vermitteln und Probleme eher mit sich selbst auszumachen. Daher gibt es sogenannte Pflichtberatungen für Zweit- und Siebtsemester aus dem Ausland. Darin wird dann nach dem Studienverlauf gefragt, aber auch nach sozialen Aspekten, dem Verhältnis zu den Professoren, anderen Studis, der Wohnsituation etc.

BUZe: Was sind ihre Ergebnisse?

Tanja Filipp: Klar ist, dass wer aktiv ist, also ins Sportzentrum geht oder sich eine Kirchengemeinde sucht, auch integriert und erfolgreicher im Studium ist. Es wird allerdings auch häufig berichtet, dass deutsche Studierende nicht ausreichend auf internationale Studierende zugehen. Sie werden zum Beispiel nicht in Arbeitsgruppen eingeladen. Sie scheinen für sie gar nicht präsent zu sein.

BUZe: Dann wäre ihre Beratung vielleicht auch für Deutsche interesant?

Tanja Filipp: Das haben wir schon versucht. Stichwort: Interkulturelles Training. Das wird ja oft so verstanden, dass da die Ausländer hingehen und sich anschauen, wie das so in Deutschland abläuft. Aber das ist falsch. Interkulturell heißt, alle Nationen sind dabei. Diese Trainings stießen aber auf keinerlei Resonanz und sind daher eingestellt worden. Vielleicht wird man sie ja mal in den Bachelor einbauen.

BUZe: Was für Konsequenzen werden sich daraus noch für die Hochschule ergeben, wenn die Zahlen ausländischer Studierender weiter ansteigen?

Tanja Filipp: Je mehr die Zahl ansteigt, desto mehr müssen sich die Fakultäten damit auch auseinandersetzen. Es stellt sich natürlich die Frage, wie dieser Zuwachs wahrgenommen wird – als Bedrohung oder als Bereicherung. Interessieren sich die Deutschen dafür, wer neben ihnen sitzt oder ist ihnen das total egal. Und je mehr diese Zahl wächst, desto mehr sind die Deutschen – Studierende ebenso wie Lehrende – gefordert, sich mit dem Thema zu beschäftigen.

BUZe: Gibt es auch Organisationen, die sie in ihrer Arbeit unterstützen?

Tanja Filipp: Die drei größten Studierendengruppen, die Türken, Kameruner und die Chinesen, sind alle in Vereinen organisiert, die schon seit Jahrzehnten bestehen und die richtig gute Arbeit leisten. Die Vereine kümmern sich auf sozialer Ebene und bieten Freizeitveranstaltungen an. Zum größten Teil sind die Studierenden natürlich schon gut integriert. Wir dürfen dabei nicht den Fehler machen, unsere eigenen Bedürfnisse für die Integration von Ausländern als Maßstab zu nehmen.

BUZe: Türken und Chinesen sind verständlich. Aber wieso sind gerade die Kameruner eine der stärksten Gruppen? Gibt es da eine spezielle Förderung?

Tanja Filipp: Wir haben uns diese Frage auch schon gestellt. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von "Trampelpfadeffekten". Es waren schon früh Kameruner zum Studieren hier, und die erzählen anderen, dass es hier gut war und sie eine gute Betreuung erfahren haben. So folgen diese den bereits beschrittenen Wegen.

BUZe: Vielen Dank für das Interview.

Das Interview wurde geführt von Fabio Reinhardt

 

Zusatzinformation: Das sind die internationalen Pläne der TU für die Zukunft:

Die TU strebt an, ihren Status als internationale Hochschule weiter auszubauen. Daher wurde kürzlich auch eine eigene Vizepräsidentschaft für den Bereich Internationales eingeführt. Laut der Rede, die TU-Präsident Hesselbach am 10. Juni anlässlich der Verabschiedung von Dr. Peter Nübold, seines Zeichens immerhin fast 30 Jahre Leiter des Sprachenzentrums, hielt, wird diese Stelle bald mit Prof. Dr. Ali Müfit Bahadir besetzt werden. Durch die inhaltliche Trennung von den Bereichen Studium, Lehre und Weiterbildung wird der Fokus der Universität auf den Bereich Internationales deutlich geschärft.

Mit einem Anteil von 11,4 Prozent internationaler Studierender liegt die TU momentan im bundesdeutschen Durchschnitt. Das interne Ziel des IO ist jedoch ein mittelfristiger Zuwachs von 10 Prozent zum Ist-Zustand. Laut Dr. Astrid Sebastian liegt die aktuelle Zielregion des IO neben China Argentinien, Brasilien und die anderen Länder Lateinamerikas. Die Konzentration auf diese Region wird aber vermutlich erst im Jahre 2010 erfolgen. Im kommmenden Jahr soll es erstmal ein Indienjahr geben, in dem Kontakte und Verträge zu indischen Hochschulen intensiviert werden sollen. Die ersten Kontakte ergeben sich laut Sebastian meistens nach Interessen von Studierenden über Forschungsaufenthalte von Professoren. Wenn dann genug Studierende in ein Land wollen, in das es noch keine Kontakte gibt, wird das IO aktiv. Gerade für den Bereich USA ist immer viel PR-Arbeit zu leisten, da die TU Braunschweig dort allgemein sehr unbekannt sei, aber an viele Hochschulen nur Outgoings geschickt werden können, wenn im Gegenzug auch Incomings angenommen werden. Die Benennung einer eigenen Vizepräsidentschaft für Internationales wird im IO als positives Zeichen gewertet.